Xt< V 3*' C C ■tt-SiC.^8 "<« cc CG ^»er . *■«££• « <^ C c . c • r ^ '<-.«-< ••2».. "■ ccr«cc«c.< -^Ä? » DUE LAST DATE JUL3 «58 U*M 181961 H0V2419G9 Jg$» J :>*iW^:> BK>: I ÖäfcK >» t J> ■■*> ■ ^^ÄL LW S2>? s£> Bv 3»£» 3) £££ >»>> rTirWtw Sv *K* i& UNTERSUCHUNGEN ÜBEK DAS GEHIRN. ABHANDLUNGEN PHYSIOLOGISCHEN UND PATHOLOGISCHEN INHALTS VON DR EDUARD HITZIG, PRIVATDOCENT A. D. UNIVERSITA ET BERLIN. MIT HOLZSCHNITTEN. ^ % '■/figtOiV'" BERLIN 1874. VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. 68 UNTER DEN LINDEN. WL. W&15IL. \8n Das Ueborsetzungsrecht wird vorbehalten. SEINEM IEBEN VATER Lieben V DEM GEHEIMEN REGIERUNGS- UND BAÜRATH FRITZ HITZIG ZUM & ÄPGIfiL «S?4 ALS GEBURTSTAGSGRUSS. Inhalt. Einleitung..................VII - I. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns..... 1 II. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns.....32—62 1. Polare Einflüsse................32 2. Einfluss des Aethers und des Morphiums.......36 3. Einfluss der Apnoe........<......39 4. Augenmuskeln und P'acialis............42 5. Umfang und erregbare Verbindungen der Centren ... 45 Zusatz: Ueber Wirkungen des Curare........51 6. Reflexionen..................52 III. Kritische und experimentelle Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns im Anschluss an die Untersuchungen des Herrn Pro- fessor D. Ferrier in London............63—113 Vorbemerkungen................63 A. Die Methode Ferrier's.............66 B. Die Resultate Ferrier's.............72 I. Allgemeine Differenzen zwischen den Reizeffecten Ferrier's und den Meinigen...............72 II. Specielle Differenzen zwischen den Reizeffecten Ferrier's und den Meinigen...............75 1. Versuche an Hunden...........75 a) Unerregbare Zone..............76 b) Erregbare Zone...............85 2. Versuche an Katzen...........94 a) Unerregbare Zone..............95 b) Erregbare Zone...............99 3. Versuche an Meerschweinchen........101 C. Die Schlüsse Ferrier's......".......108 IV. Ueber einen interessanten Abscess der Hirnrinde. .... 114 V. Ueber äquivalente Regionen am Gehirn des Hundes, des Affen und des Menschen.................120 VI. Ueber die Auffassung einiger Anomalieen der Muskelinnervation I. 148 VII. Ueber die Auffassung einiger Anomalieen der Muskelinnervation II. 168 VI Inhalt. VIII. Zwei Fälle von anderweitigen Secundärerkrankungen des Nerven- systems nach peripheren Verletzungen..........186 IX. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes entstehenden Störungen der Muskelinnervation und der Vorstellungen vom Verhalten im Räume...................196-247 I. Literatur...................196 II. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes eintretenden Er- scheinungen von Schwindel............199 III. Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes eintretenden Augen- bewegungen ..................209 IV. Ueber die Art der Einwirkung des Galvanismus .... 215 V. Ueber das Verhältniss der beim Galvanisiren des Kopfes auf- tretenden Reizerscheinungen zu einander.......218 VI. Schluss...................240 1. Ueber den Ort der Einwirkung des Galvanismus . . 240 2. Ueber den therapeutischen Werth der Methode. . . 244 3. Ueber das Verhältniss des Drehschwindels zu den gal- vanischen Reizeffecten............245 X. Bemerkungen zu der'vorstehenden Abhandlung.......248 XI. Untersuchungen zur Physiologie des Kleinhirns.......261 XII. Ueber Production von Epilepsie durch experimentelle Verletzung der Hirnrinde...................271 Einleitung. Der in dem vorliegenden Buche behandelte Stoff hätte eine Eintheilung nach verschiedenen Principien zugelassen. Ich hielt die Verwandtschaft des Inhalts für das Wichtigste. Deshalb ist in der Reihenfolge dieser, zu einem Theile reproducirten Abhandlungen das chronologische Princip nur nebenher in Anwendung gebracht, und von einer, überdies ja nur künstlichen Trennung zwischen den physio- logischen und pathologischen Untersuchungen ganz abgesehen worden. So umfasst die erste Abtheilung die Abhandlungen I—V, in denen die, bis vor Kurzem unbestimmten Vorstellungen von der Localisation im Grosshirn eine greifbarere Gestalt erhalten; in der zweiten Abtheilung, bestehend aus den Nummern VI—VIII, habe ich die Aufmerksamkeit auf eine bisher viel zu wenig berücksichtigte Form der krankhaften Muskelthätigkeit, die abnormen Mitbewegungen zu richten gesucht; die dritte Gruppe IX—XI beschäftigt sich mit den Organen des Gleichgewichts. Der die einzelnen Theile des Wer- kes zusammenhaltende Kitt besteht in ihrer gemeinsamen Beziehung zu der centralen Innervation des Muskelsystems. Der zwölfte Aufsatz gehört sachlich zur ersten Abtheilung. Er nimmt die letzte Stelle ein, weil ich mich erst spät, nach langem Schwanken zu seiner Publication entschloss. Nicht dass mir sein Inhalt an und für sich das leiseste Bedenken bereitet hätte. Aber ich wünschte die Fülle der aus diesen Beobachtungen fast von selbst erwachsenden Consequenzen durch eigene Arbeit in die mir vor- schwebende Form zu bringen. Nun ich sehe, dass ich durch Ob- liegenheiten, deren Abwälzung mir nicht gelingen will, daran viel- VIII Einleitung. leicht auf lange gehindert sein werde, halte ich mich nicht für be- rechtigt, diese Gelegenheit zur Publication vorübergehen zu lassen. Wie die Eintheilung konnte auch die anderweitige Behandlung der äusseren Form in Frage kommen. Die mitgetheilten Untersuchungen haben sich in mancher Beziehung auf neue Wege begeben. Selbst- verständlich können diese nur Schritt für Schritt durchmessen wer- den; jede einzelne Aufgabe entspricht einem Theile des Weges, aber nicht einem Abschnitte; sie hat ihre Verbindungen nach vor- und rückwärts; das Ende entzieht sich dem Blicke. So gewinnt die Lösung jeder Aufgabe in der Form nicht den, als Endziel erstrebenswerthen Charakter der Abgeschlossenheit. Doch wird dieser Mangel meinen Bestrebungen von selbstständigen Forschern am Wenigsten zum Vor- wurf gemacht werden. Denn nichts ist wohlfeiler und vielleicht auch mehr äusseren Gewinn bringend als die Unterdrückung der Zweifel, so dass das Bild für die grosse Menge bis auf Weiteres das Ansehen der Vollendung erhält. Hierin liegen die Gründe, welche mich dazu bestimmten, die einzelnen Capitel in der Form der Abhandlung zu belassen, anstatt sie unter Herbeiziehung fremder Untersuchungen über die Verrich- tungen des Gehirns zu einem, die Gestalt eines Lehrbuches anneh- mendem Werke zu verarbeiten. Für ein Solches scheint mir die Zeit weder bereits gekommen noch sobald zu erwarten. Und doch war es geboten, die Zugänglichkeit, mindestens des physiologischen Theiles dieser Abhandlungen, ohne Verzug zu vergrössern. Man wird aus der dritten Abhandlung ersehen, wie leicht es einem Forscher durch Berufung auf unsere Untersuchungen ge- worden ist, Resultate in die Wissenschaft einzuführen, welche durch ganz fehlerhafte Anwendung ähnlicher Methoden gewonnen waren. Der Gedanke lag zu nahe, dass mancher Nacharbeiter nur den späteren Autor einsehen würde, da dieser ja die Annahme für sich hatte, auf Grund des früher Geleisteten Vollkommeneres in Methode und Resultaten zu bieten. Richtig ist diese fragmentarische Be- nutzung der Literatur freilich nicht, aber dafür um so häufiger, und aus dieser Erwägung ging die Wahl des Zeitpunktes für die, wie man begreifen wird, stets beabsichtigte Zusammenstellung meiner Untersuchungen hervor. Einleitung. IX Wie wenig ich mich mit jener Befürchtung und der Berechnung freilich ebenso naheliegender Consequenzen getäuscht hatte, lehren zwei französiche Publicationen, für die mein kleines Werk doch nicht schnell genug gedruckt werden konnte. Beide haben das gemeinschaftlich, dass ihre Autoren unsere früheren Arbeiten nicht gelesen haben. Nichtsdestoweniger trägt die Eine derselben den Titel Critique ex- perimentale des travaux de MM. Fritsch, Hitzig, Ferrier. Sie ist von den Herren Carville und Dur et in den Verhandlungen der Societe de Biologie (Gazette medicale 1874 Nr. 2) publicirt, und soll beweisen, dass sich der elektrische Strom in der Masse des Gehirns verbreitet. Der Leser wird schon aus der ersten, noch mehr aber aus der dritten Abhandlung ersehen, dass diese Bemühungen, was uns an- geht, an eine falsche Adresse gerichtet sind. Da das Gehirn ein feuchter Leiter ist, so haben wir von vornherein geschlossen, dass es sich ebenso verhalten würde, wie alle anderen feuchten Leiter, und nach dieser Voraussetzung unsere Versuche und unsere Schlussfolge- rungen eingerichtet. Wenn also die Herren Carville und Dur et den Gegenstand ihrer Kritik zunächst hätten lesen wollen, so würden sie das Endresultat ihrer Untersuchungen überall als Prämisse be- nutzt gefunden haben. Die andere, den Inhalt einer These ausmachende Arbeit will unsere Untersuchungen wiederholen und deren Schlussfolgerungen widerlegen. Wenn die erste Absicht in irgend einem Punkte aus- geführt wäre, so würde sich über das Gelingen der zweiten discutiren lassen. Bis dahin halte ich aber jede Discussion für nutzlos. Das Thema des ersten Theiles dieser Untersuchungen ist nicht nur wegen seiner Beziehungen zu allen Zweigen der theoretischen und praktischen Medizin von jeher Gegenstand allgemeineren Inte- resses gewesen. Vielmehr wurde ziemlich allseitig zugegeben, dass die Erkenntniss der Eigenschaften der Hirnrinde eigentlich \yohl das unterste Fundament auch der Psychologie ausmachen solle, und in der That hat diese Wissenschaft nur ungern auf einen so erheblichen X Einleitung. Theil des physiologischen Materiales verzichtet. Wie gross aber das allgemein menschliche Bedürfniss nach einem Einblick in diese Vor- gänge ist, das beweisen wohl am Besten die erstaunlichen äusseren Erfolge, welche die Phrenologie, trotz ihrer unwissenschaftlichen Me- thode, in weiten Kreisen gefeiert hat. Ich habe deshalb einige Veranlassung darauf zu rechnen, dass die Discussion über den Sinn der mitgetheilten Thatsachen sich auf mancherlei Kreise erstrecken wird, ohne dass grade jeder Theilnehmer sich vorher die Mühe nahm, meinem Gedankengang überall nachzu- gehen; ohne dass mancher Andere geneigt wäre, die von mir, in dem Bestreben, mit der Deutung den Thatsachen nicht voranzueilen, gelassenen Lücken, in einer meinen eigenen Ideen homogenen Weise zu ergänzen. Vielleicht in Folge unausgesetzter Beschäftigung mit diesen Dingen ist es gekommen, dass ich eine bestimmte Auffassung für selbstverständlich genug hielt, um einer besonderen Auseinander- setzung entbehren zu können. Glücklicherweise überzeuge ich mich noch rechtzeitig, dass ich mich getäuscht habe, und kann so meinen Fehler durch einige einleitende, besonders den beiden ersten Abhand- lungen geltende Worte wieder gut machen. Meine Untersuchungen haben sich in einen principiellen Gegen- satz zu der früher ziemlich allgemein acceptirten Flourens'schen Lehre gesetzt, dass die Hirnlappen mit ihrer ganzen Masse für die ungeschmälerte Ausübung ihrer Functionen eintreten, und dass es keinen gesonderten Sitz weder für die verschiedenen Fähig- keiten noch für die verschiedenen Wahrnehmungen gäbe. Daraus ist wohl bei Manchen die Meinung entstanden, als ob ich — aus- gehend von den elektrisch reizbaren „ Centren" — eine ähnliche Art von circumscripten Fähigkeitsheerden, wie die der Phrenologen in die Wissenschaft einführen wollte. Nichts kann irrthümlicher sein. Grade die Art der elektrischen Reaction der Hirnrinde würde mich nie zu einer solchen Idee haben kommen lassen. Wenn ich die Stromstärke des wirklichen Zuckungsminimums aufsuche, reagirt nur die Stelle, wo meine Stecknadelkopf grosse Anode sitzt. Bei der geringsten Ortsveränderung verschwindet die Reaction. Könnte ich dieser Anode nun die Kleinheit einer Ganglienzelle geben, so würde das Verhältniss sich wohl kaum ändern. Dann wäre also Einleitung. XI diese Gauglienzelle das wahre Centrum! Gegen die Widersinnigkeit, welche dieser Schluss herbeiführen würde, bedarf es keiner Beweise. Man kann sich die ganze Rinde des grossen Gehirns in eine Zahl gleich grosser Felder zerlegt, und diese Felder sowohl unter sich als mit den Zusammenfassungen der grossen Ganglien durch Leitungen verbunden denken. Ihr Areal würde das materielle Sub- strat für alle die Kräfte bilden, deren Erscheinungsweise uns unter dem Namen psychische Functionen bekannt ist. Bis hierher geht die Ansicht Flourens' mit der Meinigen, welche in dieser Form wohl zuerst von Meynert ausgesprochen wurde, zusammen, von hier ab weichen die Ansichten auseinander. Nach Flourens tritt die Gesammtheit des Grosshirns für alle Functionen ein, gesonderte Functionsheerde existiren nicht; wir wür- den also jedes einzelne Feld als ein kleines Grosshirn für sich zu betrachten haben. Wir würden mit jedem einzelnen Felde alle Sinneswahrnehmungen verrichten, alle Vorstellungen herleiten und alle Willensimpulse produciren können, und die complicirte, Solches vollbringende, jedem kleinsten Theile innewohnende Kraft würde etwas Specifisches, eine besondere Grosshirnkraft sein. Nach meiner Auffassung ist die Einführung dieses Factors, mit dem sich schwer würde weiter rechnen lassen, nicht erforderlich. Ich nehme an, dass eine grössere oder geringere, vorläufig noch nicht ab- zugrenzende Zahl von Feldern, mit unter sich ähnlichen Fähigkeiten ausgestattet, zur Vollbringung des gleichen Zweckes zusammenwirkt, und lasse eine unbestimmte Zahl verschiedenen Zwecken dienender Complexe existiren. Sehen wir nun zu, wie sich jede Einzelne dieser beiden An- sichten mit dem, was wir über die Lebensäusserungen des Grosshirns wissen, vereinigen lässt, so finden wir, dass die zuerst erläuterte doch nur einen geringen Theil der Erscheinungen deckt, während der an- deren nichts widerspricht. Gehen wir von den einfachsten Ver- hältnissen, dem elektrischen Reizversuche aus, so reagirt das Substrat jener hypothetischen Grosshirnkraft an den verschiedensten Stellen des Gehirns verschieden, hier bewegt sich ein Arm, dort ein Bein, dort nichts. Nach jener Annahme müsste sich aber überall Alles oder nichts bewegen. XII Einleitung. Ebenso entstehen zweifellos Paresen in Folge von Desorgani- sationen einzelner Felder der Rinde, während andere Felder ohne erkennbare motorische Symptome zu Grunde gehen. Dasselbe Re- sultat ergeben Lähmungsversuche, wegen deren ich den Leser noch besonders auf die höchst interessanten, in Virchow's Archiv vor- getragenen Untersuchungen Nothnagels verweise. Nach jener An- nahme müssten Paresen bei Verletzung jedes einzelnen oder keines Feldes entstehen. Trotz Allem, was man dagegen vorgebracht hat und vorbringt, gebührt endlich den Erfahrungen über Aphasie ein hervorragender Platz in dieser Beweisführung. Es ist durch eine jetzt kaum noch zu übersehende Casuistik festgestellt, dass dieses Symptom durch die Verletzung eines bestimmten Rindenbezirkes producirt wird. Wenn man nun gegen diese Erfahrungen anführt, dass auch die Verletzung anderer Hirntheile ähnliche oder gleiche Erscheinungen bedingt hat, so würde dies nur dann als ein Beweis gegen die Localisation im Grosshirn benutzt werden können, wenn man die Sprache als etwas Einfaches dargestellt hätte, und dieses Einfache, nach Analogie der Phrenologen, auf einem kleinen Bezirke alle Existenzbedingungen fin- den liesse. Aber selbst dann würden diese Erfahrungen noch gegen die Theorie von Flourens sprechen. Man würde mit ihnen doch nur zu dem Niemand erwünschten Schlüsse kommen, dass die frag- liche Fähigkeit bei neunzig Menschen in der dritten Stirnwindung und bei zehn vom Hundert an einer anderen Stelle ihren Sitz habe, nicht aber dass sie auf jedem einzelnen Felde erwüchse. Nimmt man aber an, dass die Wortbildung etwas Complicirtes, auf regelrechtes Zusammenwirken mehrerer Complexe von Feldern Angewiesenes sei, so werden die Ausnahmen neben der Regel ver- ständlich. In diesem Falle würde die Trennung sämmtlicher oder der wesentlichen Verbindungen zwischen je zwei Complexen analoge Erscheinungen bedingen können, wie die Vernichtung des Einen von ihnen, oder was dasselbe sagen will, wie die Abtrennung seiner Bahnen nach der Peripherie. In ganz ähnlicher Weise lässt man auch die Entstehung will- kürlicher Bewegungen oder besser Handlungen vor sich gehen. Jede Handlung, auch die fast mechanische, kann auf frühere und Einleitung. XIII gegenwärtige Sinneseindrücke zurückgeführt werden. Aus der Summe der durch die ursprüngliche Thätigkeit der Sinnesorgane im weiteren Sinne gebildeten Vorstellungen erwächst der die Bewegung zur Folge habende Trieb. Die Bewegungen wurzeln insofern in den eigentlichen Feldern der Sinnesfläche, und ich könnte mir demnach vorstellen, dass ein Bewegungscentrum selbst intact und doch durch Isolirung von den zusammenwirkenden Factoren ausser Function gesetzt ist. Ja ich würde es nicht erstaunlich finden, wenn namentlich an psychisch niederen Thieren nachgewiesen würde, dass die Zerstörung einer als reine Sinnesfläche erkannten Region eine Bewegungsstörung mit her- beizieht, ohne dass je die Reizung derselben Stelle zu einer Bewe- gung geführt hätte. Am einfachsten zu erklären ist endlich der Umstand, dass be- stimmte Stellen auf Eingriffe reizender oder lähmender Art leichter antworten als andere. Was auch immer auf der Hirnrinde geschehen möge, es muss centrifugale und centripetale Bahnen zur Verfügung haben. Knotenpunkte dieser Bahnen werden die Folgen des Ein- griffes leichter, alle anderen Partieen schwerer in die Erscheinung treten lassen. — Mit diesen und meinen früheren Ausführungen wünsche ich mich weder in das Lager der Materialisten noch in das der Idealisten zu begeben. Man kann so sehr Idealist sein als man will, immer bleiben Organe, in welchen die scheinbar über Allem schwebende Seele arbeitet, eine Forderung der Vernunft. Unserer Beschäftigung mit den nächsten körperlichen Verrichtungen dieser Organe, wolle der Leser seine wohlwollende Theilnahme schenken. Betrachtungen, ob das darüber Schwebende die unsterbliche Seele oder eine, auch anderer Erscheinungsweisen fähige Naturkraft sei, überlassen wir Anderen. Der Verfasser. I. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns.1) Die Physiologie vindicirt allen Nerven als eine nothwendige Be- dingung des Begriffes die Eigenschaft der Erregbarkeit, d. h. die Fähigkeit, mit ihrer specifischen Energie auf alle Einflüsse zu ant- worten, durch welche ihr Zustand in einer gewissen Geschwindigkeit geändert wird. Nur für die Centraltheile des Nervensystems herr- schen andere, freilich nur in wenigen Punkten allgemein acceptirte Ansichten. Es würde zu weit führen und auch dem speciellen Zweck der gegenwärtigen Arbeit nicht dienen, wenn wir aus der ungeheuren einschlägigen Literatur auch nur die uns zuverlässig scheinenden Re- sultate anführen wollten, welche durch die Reizversuche an allen ein- zelnen Theilen des Centralnervensystems gewonnen sind. Während jedoch rücksichtlich der Erregbarkeit der den Hirnstock zusammen- setzenden Organe durch andere als die organischen Reize die grösste Meinungsverschiedenheit besteht, während in neuester Zeit ein hef- tiger Streit über die Erregbarkeit des Rückenmarkes entbrannt ist, hat seit dem Anfang des Jahrhunderts die Ueberzeugung ganz all- gemein Platz gegriffen, dass die Hemisphären des grossen Gehirns durch alle den Physiologen geläufigen Reize absolut unerregbar seien. — 1) Diese Abhandlung wurde zuerst gedruckt in Reichert's und du Bois-Reymond's Archiv 1870, Heft 3. Die in derselben erwähnten Ver- suche wurden gemeinschaftlich mit Herrn Dr. G. Fritsch, Privatdocenten an der hiesigen Universität angestellt und publicirt. Hitzig, Experimentelle Untersuchungen. 1 2 Üeber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Haller und Zinn1) freilich wollten bei Verletzung der Mark- substanz des Grosshirns convulsivische Bewegungen gesehen haben. Indessen war man zu jener Zeit an eine strenge Begrenzung der angewandten Reize, welche freilich am Gehirn fast unübersteiglichen Hindernissen begegnet, zu wenig gewöhnt, als dass diese Angaben später Glauben gefunden hätten. Vielmehr ist es, wie schon Longet bemerkt, wahrscheinlich, dass jene Experimentatoren mit ihren In- strumenten bis zur Medulla oblongata vorgedrungen waren. Longet2) selbst aber spricht sich hierüber folgendermassen aus: „Sur des chiens et des lapins, sur quelque chevreaux, nous avons „ irrite avec le scalpel la substance blanche des lobes cerebraux; nous „Pavons cauterisee avec la potasse, l'acide azotique etc., nous y avons „fait passer des courants galvaniques en tout sens, sans „parvenir ä mettre en jeu la contractilite musculaire in- „volontaire, ä developper des secousses convulsives: meme resultat „negatif, en dirigeant les memes agents sur la substance grise ou „ corticale." Zu den gleichen Resultaten führten die Vivisectionen von Ma- gendie3). Auf die übrigens ziemlich gleichlautenden Schlüsse von Flou- rens, welche sich auf Ergebnisse von Durchschneidungen und Ab- tragungen stützten, werden wir in der Folge einzugehen haben. Auch Matteucci4) fand das grosse und kleine Gehirn des Kaninchens gegen elektrische Reize vollkommen unerregbar. Van Deen5), mit dessen Namen man in neuerer Zeit die Lehre von der Unerregbarkeit der Cerebrospinalcentra verknüpft hat, ging in seinen Schlüssen noch beträchtlich weiter als alle Experimenta- toren vor ihm und die meisten nach ihm. Während man früher neben 1) Memoires sur la nature sensible et irritable du corps animal. Lau- sanne 1756, t. I, p. 201 et suiv. 2) Anatomie et physiologie du Systeme nerveux de Phomme et des ani- maux vertebres. Paris 1842. t. I. p. 644 u. a. and. 0. 3) Lecons sur les fonctions et les maladies du Systeme nerveux. Paris 1839, t. I. p. 175 u. a. and. 0. 4) Traite des phenomenes electrophysiologiques des animaux. Paris 1843, p. 242. 5) Moleschott's Untersuchungen etc. Bd. VII, H. IV, S. 381. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grossbirns. 3 dem Rückenmarke wenigstens einigen basalen Hirntheilen die Eigen- schaft der Erregbarkeit gelassen hatte, sprach er dieselbe dem ganzen Centralnervensystem auf Grund seiner, für das Kaninchen übrigens höchst mangelhaft beschriebenen Versuche, gänzlich ab. Desgleichen sah Eduard Weber1) bei Experimenten mit dem Rotationsapparate am Grosshirn der Frösche keine Muskelzuckungen eintreten. Budge2), der auch selbst eine äusserst grosse Zahl von Säugern opferte, spricht sich, abgesehen von vielen anderen ähnlich lautenden Stellen, folgendermassen aus: „Wenn man nach dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaft „schliessen darf, dass in einem Nerventheile, in welchem nach einer „Reizung keine Zuckungen eintreten, die Bewegungsfasern fehlen, so „kann man mit der grössten Bestimmtheit behaupten, dass nicht „eine einzige Faser solcher Nerven, die zu willkürlichen Muskeln „hingehen, in den Hemisphären des grossen Gehirns verlaufe. Nicht „ein einziger Beobachter sah Bewegung solcher Muskeln nach Rei- zung der genannten Centraltheile." Endlich führen wir noch die Meinung Schiffs3), eines der erfahrensten Vivisectoren an: „Dass die Reizung der Hirnlappen, der Streifenhügel und des „kleinen Gehirns keine Spur von Zuckung in allen freien Körper- nmuskeln hervorruft, kann ich nach der Angabe, vieler Forscher „bestätigen. Auch die Eingeweide blieben bei der Reizung dieser „Theile ruhig, wenn ich — wie dies bei solchen Versuchen unum- gänglich nöthig ist — die Circulation erhalten hatte." Man sieht, auch in einer anderen Wissenschaft als der Physio- logie dürfte es kaum eine Frage geben, über die die Ansichten so übereinstimmend lauteten, die so vollkommen abgeschlossen schien, als die Frage von der Erregbarkeit der Grosshirnhemisphären. Ue- brigens wäre es ein Leichtes, noch mehr gleichlautende Citate zu häufen, wenn dies irgend einen Nutzen verspräche. 1) R. Wagner's Handwörterbuch d. Physiol., Bd. III, Abthl. II, S. 16. 2) Untersuchungen über das Nervensystem. Frankf. a. M. 1842. H. II. S. 84. 3) Lehrb. der Physiologie des Menschen. Lahr 1858—59. Bd. I. S. 362. 1* 4 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Nur ein Autor neben Haller und Zinn hat, so viel uns be- kannt geworden, etwas Abweichendes gesehen, und dessen Angabe erregte bei Eckhard1), der die Thatsache citirt, so wenig Glauben, dass er Namen und Quelle verschweigt. Die betreffende Stelle lau- tet: „Bei Scheiben weiser Abtragung der vorderen Gehirnlappen giebt „man an, lebhafte Bewegungen in den Vorderbeinen gesehen zu „haben." An und für sich ist dies freilich nicht viel; denn man kann daraus nicht ersehen, wie der Versuch angestellt ist. Wäre er indessen mit den nöthigen Cautelen angestellt, so würde er ein wichtiges Princip beweisen, das Princip, dass man durch irgend einen Reiz, sei es der des Scalpells, oder der des Sauerstoffs, oder der des Bluts von den Vorderlappen aus Bewegungen willkürlicher Muskeln hervorbringen kann. Jedenfalls scheint dieser vereinzelten Beobachtung von keiner Seite weitere Folge gegeben zu sein; denn jene Stelle bei Eckhard ist die einzige von ihr hinterlassene Spur. Ehe wir nun zu unseren eigenen Versuchen übergehen, ist es erforderlich, diejenige Ansicht über die motorischen Vorgänge in den Centralorganen darzulegen, welche sich in Folge der oben er- wähnten Versuche und der berühmten Hirnabtragungen von Flou- rens2) herangebildet hatte. Diesem geistreichen und glücklichen Forscher gelang es, durch Anwendung wenigstens möglichst reiner Methoden zu Resultaten zu gelangen, die als Basis für fast alle hierher gehörigen später ge- wonnen Kenntnisse betrachtet zu werden verdienen. Nach zahlreichen Abtragungen des Grosshirns, die meist an Vö- geln, doch auch an Säugethieren vorgenommen waren, sah Flou- rens alle Zeichen des Willens und des Bewusstwerdens der Empfin- dungen verlöschen; während gleichwohl durch von Aussen eindrin- gende Reize nun ganz maschinenmässig gewordene Bewegungen in allen Körpermuskeln ausgelöst werden konnten. Solche Thiere hal- ten sich sehr wohl auf ihren Füssen, sie laufen, wenn man sie an- stösst, Vögel fliegen, wenn man sie in die Luft wirft, sie wehren 1) Experimentalphysiologie des Nervensystems. Giessen 1867, S. 157. 2) Recherches experimentales sur les proprietes et les fonctions du s steme nerveux dans les animaux vertebres. 2eme edit. Paris 1842. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 5 sich wenn man sie neckt, sie verschlucken in den Mund gebrachte Gegenstände und auch die Iris contrahirt sich auf den Lichtreiz. Niemals aber treten solche Bewegungen ohne Einwirkung eines äus- seren Reizes ein. Des Grosshirns beraubte Thiere sitzen stets wie in sich versunken, wie schlafend da, und man ändert nichts an die- sem Zustande, setzte man sie auch dem Verhungern nahe auf einen Berg von Nahrungsmitteln. Flourens schloss hieraus, dass die Grosshirnhemisphären nicht der Sitz des unmittelbaren Princips (principe immediat) der Muskel- bewegungen, aber der einzige Sitz des Willens und der Empfin- dungen seien'). So befriedigend diese Versuchsreihe und die aus ihr gezogenen Schlüsse nun auch scheinen, so wenig lassen sich die gleich anzu- führenden ferneren Resultate und Schlüsse Flourens mit auf an- deren Wegen gewonnenen Erfahrungen vereinigen. Wenn Flourens Thieren nur eine Hemisphäre abtrug, so wur- den sie zwar auf dem Auge der gegenüber liegenden Seite blind, sie behielten aber ihre volle Willensherrschaft über sämmtliche will- kürliche Muskeln und nach Ueberwindung einer nicht einmal immer auftretenden Schwäche der gegenüberliegenden Körperhälfte unter- schieden sie sich in nichts von nicht verstümmelten Thieren. Wenn er ferner anderen Thieren das Grosshirn scheibenweise, sei es von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn, sei es von oben nach unten oder von aussen nach innen, abtrug, so bemerkte er unter allen diesen Bedingungen eine gleichmässige, allmählige Abnahme der sinnlichen Wahrnehmungen und des Willens. Ueberschritt er aber eine gewisse Grenze, so waren plötzlich alle diese der Seele zugeschriebenen Eigenschaften auf einmal erloschen und das Thier versank in den geschilderten traumhaften Zustand. Ja noch mehr, wenn er mit der Abtragung an jener Grenze innehielt, so erlangte das Thier innerhalb weniger Tage die schon verlorenen Fähigkeiten wieder und konnte dann noch lange mit den- selben seelischen Eigenschaften fortexistiren, als wenn es nichts von seiner Gehirnsubstanz eingebüsst hätte. Flourens schloss hier- 1) A. a. 0. S. 35. 6 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. aus1), dass die Hirnlappen mit ihrer ganzen Masse für die ungeschmälerte Ausübung ihrer Functionen eintreten, und dass es keinen gesonderten Sitz, weder für die ver- schiedenen Fähigkeiten, noch für die verschiedenen Wahrnehmungen gäbe. Er schloss ferner, dieses im Wider- spruch mit dem ersten Schlüsse, dass ein zurückgelassener Theil der Hemisphären den vollen Gebrauch sämmt- licher Functionen wiedererlangen könne. Am auffallendsten unter allen angeführten Versuchen ist jeden- falls der a. a. 0. S. 101 unter IL beschriebene. Hier hatte Flou- rens einer Taube offenbar die ganze erreichbare Rinde des Gross- hirns beider Seiten, also den gangliösen Theil abgetragen, den Theil, welchen man noch immer als den wesentlichen, als den die ersten Werkzeuge der Seele bergenden zu betrachten gewohnt war. Nichts- destoweniger begann diese Taube schon vom 3. Tage an ihre, see- lischen Functionen wieder auszuüben, und am 6. Tage hatte sie Alles wiedererlangt, was ihr durch die Operation gänzlich genommen schien. — Gleichwohl hat man diese Versuche oder ihre Anwend- barkeit auf höhere Thiere noch wenig oder nicht angegriffen, und noch Schiff2) referirt darüber in demselben Sinne; wenn auch dieser Forscher wohl auf zu Tage liegende Verschiedenheiten in Bau und Function zwischen Thier- und Menschenhirn aufmerksam macht. Es hatte sich also nach diesen und späteren, nur ausbauenden Forschungen etwa folgende Ansicht über die centralen Stätten der Muskelbewegung gebildet: In den meisten Theilen des Hirnstammes, dann auch hinab bis in das Rückenmark giebt es eine Anzahl von vorgebildeten Mecha- nismen, die einer normalen Erregung in ihrem Ganzen auf zwei Bahnen fähig sind. Die Eine verläuft von der Peripherie aus __ die Bahn des Reflexes; die Andere strahlt vom Centrum her ein — die Bahn des Willens, der seelischen Impulse. Dieses Centrum liegt vermuthlich in der gangliösen Substanz der Gross- hirnhemisphären, ohne dass jedoch die einzelnen Theile 1) A. a, 0. S. 99. u. 101. 2) A. a. 0. S. 336. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 7 des psychischen auf die einzelnen Theile des organischen Centrums localisirt wären. Aber seine Erforschung, die Erforschung des wahrscheinlichen Sitzes, oder doch der nächsten Werkzeuge der Seele bleibt uns zunächst ver- schlossen, da das Substrat auf die uns geläufigen Reize mit keiner in die Erscheinung tretenden Reaction ant- wortet1). — Was gegen diese Anschauungen von Seiten der klini- schen Beobachtung etwa eingewendet werden konnte, wurde mit dem vielfach nicht ungerechten Hinweis auf die Mangelhaftigkeit und Viel- deutigkeit der Sectionen und auf die Einfachheit und Durchsichtig- keit jener Vivisectionen bald abgefertigt. Man führte endlich Fälle von angeborenem oder erworbenem Defect einzelner Hirnpartieen ohne entsprechende Störung cerebraler Functionen zum Beweise an, wie unwesentlich doch das Hirn zum Leben sei. Diese Anschauungen wurden selbst durch eine Reihe wohl con- statirter, andere Verhältnisse voraussetzender Thatsachen nur in be- schränkten Kreisen allmählig modificirt. Seit lange (1825) war durch Bouillaud bekannt, dass der jetzt Aphasie benannte Symptomen- complex durch Zerstörung einer kleinen excentrischen Grosshirnpartie bedingt werden kann. In neuerer Zeit haben zahlreiche Autoren zur näheren Definirung dieses Satzes beigetragen. — Es existirt ferner eine nicht geringe Zahl von Fällen in der Literatur, die im Leben Lähmung eines Armes, auch wohl eines Beines, bei der Section . kleine Desorganisationen des Grosshirns zeigten. Leider ist aus den durch Andral2) von seiner bekannten Zusammenstellung gezogenen Summen nicht zu ersehen, wie viel derartige Fälle auf das Gross- hirn selbst und wie viele auf seine grossen Ganglien kommen. In- dessen muss man sich vollkommen dem anschliessen, was er am Ende dieser Betrachtung sagt: „De ces faits comment ne pas conclure, que dans l'etat actuel „de la science on ne peut encore assigner dans le cerveau un siege „distinct aux mouvemens des membres superieur et inferieur? Sans 1) Vgl. hierzu die neuesten Lehrbücher der Physiologie, z. B. Ranke, Grundzüge u. s. w., S. 750 ff.; — L. Hermann, Grundriss u. s. w. 3. (übri- gens auch 4.) Aufl. 1870. S. 426 und 436 f. u. s. w. 2) Clinique medicale. Paris 1834. T. V. p. 357 et suiv. 8 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. „doute ce siege distinct existe, puisque chacun de ces membres peut „se paralyser isolement, mais nous ne le connaissons point encore." Dem wäre nur noch hinzuzufügen, dass man von den das Corp. striat. und den Thalam. optic. betreffenden Fällen abzusehen hat, sobald man diese Statistik zur Bestimmung des ersten Enstehungs- ortes der ausgefallenen Bewegung verwenden will, da in diesen beiden grossen Ganglien bereits Leitungsbahnen von den Hemisphären zur Peripherie gelagert sind. — Solche Thatsachen wiesen allerdings darauf hin, dass der Ursprung wenigstens einzelner seelischer Func- tionen an umschriebene Hirntheile geknüpft ist. Zu dem gleichen Schlüsse kam auch Goltz dadurch, dass er bei Fröschen, denen er das Grosshirn exstirpirt hatte, noch einen an die Lobi optici ge- bundenen Rest von Intelligenz nachwies. Ebenso nahmen auch einzelne Anatomen, unter denen besonders Meynert genannt zu werden verdient, auf Grund morphologischer Untersuchungen einen von der herrschenden Meinung durchaus ab- weichenden, aber ganz entschiedenen Standpunkt ein. Nach Meynert zerfällt allerdings die als Heerd der Vorstellungen zu betrachtende Grosshirnrinde in viele mehr weniger umschriebene Gebiete, deren Bedeutung für die einzelnen Arten der Vorstellungen durch die in ihre Ganglienzellen einmündenden Nervenfasern seines sogenannten Projectionssystems bedingt wird. Inzwischen werden durch die Resultate unserer eigenen Unter- suchungen die Prämissen für viele auf die Grundeigenschaften des Grosshirns zu ziehende Schlüsse nicht wenig verändert. Den Ausgangspunkt für diese Untersuchungen bildeten Beob- achtungen, welche ich am Menschen zu machen Gelegenheit hatte1), und die die ersten durch directe Reizung der Centralorgane am Menschen hervorgebrachten und beobachteten Bewegungen willkür- 1) Vgl. meine Abhandlung: Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes entstehenden Störungen der Muskelinnervation und der Vorstellungen vom Verhalten im Räume. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grossbirns. 9 lieber Muskeln betreffen. Ich fand nämlich, dass man bei Durch- leitung constanter galvanischer Ströme durch den hinteren Theil des Kopfes mit Leichtigkeit Bewegungen der Augen erhält, die ihrer Natur nach nur durch directe Reizung cerebraler Centren ausgelöst sein können. Insoweit nun diese Bewegungen nur bei Galvanisirung jener Kopfgegend auftreten, konnte man sie als bedingt durch Rei- zung der Vierhügel, worauf Manches hinwies, oder benachbarter Theile betrachten. Da indessen bei Anwendung gewisser, die Erreg- barkeit erhöhender Kunstgriffe sich solche Augenbewegungen auch bei Galvanisirung durch die Schläfengegend zeigten, entstand die Frage, ob bei der letzteren Methode bis zur Basis vordringende Stromschleifen die Veranlassung der Augenbewegungen seien, oder ob das Grosshirn im Widerpruch mit der allgemeinen Ansicht doch elektrische Erregbarkeit besässe. Nachdem mir ein vorläufiger Versuch ein rücksichtlich des Ka- ninchens generell positives Resultat ergeben hatte, schlug ich in Gemeinschaft mit Herrn Fritsch zur definitiven Lösung der letz- teren Frage, den folgenden Weg ein. Den bei den ersten Versuchen nicht narkotisirten, später aber narkotisirten Thieren, Hunden, wurde durch eine Trepankrone der Schädel an einer möglichst planen Stelle eröffnet. Dann wurde mit einer schneidenden, vorn gerundeten Knochenzange entweder die eine ganze Hälfte des Schädeldachs oder nur dessen den Vorderlappen bedeckender Theil entfernt. In den meisten Fällen wurde nach Be- nutzung der einen Hemisphäre mit der anderen Hälfte des Schädel- dachs in genau derselben Weise verfahren. In allen diesen Fällen Hessen wir jedoch, nachdem uns einmal ein Hund aus einer leichten Verletzung des Sin. longitud. verblutet war, eine diesen Blutleiter schützende mediane Knochenbrücke vollkommen intact. Nun wurde die bis dahin unversehrte Dura leicht indicirt, mit der Pincette er- fasst und bis zu den Knochenrändern vollständig abgetragen. Hierbei schon äussern die Hunde durch Schreien und charakteristische Re- flexbewegungen lebhaften Schmerz. Später aber, wenn der Luftreiz erst längere Zeit eingewirkt hat, werden die Reste der harten Hirn- haut noch bei Weitem empfindlicher, ein Umstand, der bei An- ordnung der Reizversuche auf das Sorgfältigste in Betracht gezogen 10 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. werden müsste. Die Pia konnten wir jedoch durch mechanische oder irgend welche andere Reize in jedem Grade beleidigen, ohne dass das Thier ein Zeichen von Empfindung von sich gab. Die elektrischen Reizvorrichtungen waren in folgender Weise angeordnet: die Pole einer Kette von 10 Daniell gingen über einen Commutator nach zwei Klemmschrauben einer Pohl'schen Wippe, aus der das Kreuz entfernt war. An den beiden gegenüberliegenden Klemmschrauben mündeten die den Strom einer secundären Induc- tionsspirale zuführenden Leitungsdrähte. Von dem mittleren Klemm- schraubenpaar führten zwei Drähte zu einem als Nebenschliessung eingeschalteten Rheostaten von 0—2100 S. E. Widerstand. Die Hauptschliessung setzte sich über einen du Bois'schen Schlüssel zu zwei kleinen, isolirten, walzenförmigen Klemmschrauben fort, die andererseits die Elektroden in Gestalt von sehr feinen, vorn mit einem ganz kleinen Knöpfchen versehenen Platindrähten trugen. Diese Platindrähte liefen durch zwei Korkstückchen, deren vorderes sie nicht parallel, sondern in einem kleinen Winkel durchbohrten, so dass die Knöpfchen durch eine leichte Verschiebung schnell ihre Entfernung von einander ändern konnten. In der Regel betrug diese Entfernung etwa 2-3 Mm. Es war nothwendig, den Platindrähten einen nur geringen mechanischen Widerstand und die Knöpfchen zu geben, da sonst jede Unsicherheit der Hand, ja selbst die Respira- tionsbewegungen des Gehirnes sofort zu Verletzungen der weichen Masse des Centralorganes geführt hätten. Die benutzte Kette bestand aus Siemens-Halske'schen Papp- elementen, die nach einer früher angestellten Untersuchung nicht die volle elektromotorische Kraft eines Daniell und je einen Widerstand von etwa 5 S. E. hatten. In der Regel war der Widerstand der Nebenschliessung nur niedrig, nämlich auf 30—40 S. E. bemessen. Die Stromstärke war dabei so gering, dass metallische Schliessung nur eben eine Gefühlssensation auf der mit den Knöpfchen berührten Zunge hervorrief. Beträchtlich höhere Stromstärken, sowie die Aus- schaltung der Nebenschliessung wurden nur zu Controllversuchen be- nutzt. — Bei den übrigens viel seltener vorgenommenen Roizversuchen mit dem Inductionsstrome hing der Widerstand der Nebenschliessung natürlich von der jedesmaligen Spiralenstellung ab. Wir benutzten Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 11 zu den meisten Versuchen ebenfalls einen Strom, der gerade eine Gefühlssensation auf der Zunge hervorbrachte. — Unter Anwendung dieser Methode gelangten wir zu folgenden Re- sultaten, die wir als Ergebniss einer sehr grossen Zahl für das Gehirn des Hundes grösstenteils bis in die kleinsten Einzelheiten überein- stimmender Versuche vortragen, ohne alle Versuchsprotocolle selbst abzudrucken. Bei der gegebenen genauen Beschreibung der Methode und bei Berücksichtigung der noch im Folgenden zu erwähnenden Momente, ist die Wiederholung unserer Versuche ohnedies so leicht, dass Bestätigungen nicht lange werden auf sich warten lassen. — Ein Theil der Convexität des grossen Gehirnes des Hundes ist motorisch (diesen Ausdruck im Sinne von Schiff gebraucht) ein anderer Theil ist nicht motorisch. Der motorische Theil liegt, allgemein ausgedrückt, mehr nach vorn, der nicht motorische liegt nach hinten.— Durch elektrische Reizung des motorischen Theiles erhält man combinirte Muskelcontractionen der gegenüber- liegenden Körperhälfte. Diese Muskelcontractionen lassen sich bei Anwendung ganz schwacher Ströme auf bestimmte, engbegrenzte Muskelgruppen localisiren. Auf stärkere Ströme be- theiligen sich bei Reizung der gleichen oder sehr benach- barter Stellen sofort andere Muskeln und zwar auch Muskeln der correspondirenden Körperhälfte. Die Mög- lichkeit isolirter Erregung einer begrenzten Muskel- gruppe ist indessen bei Anwendung ganz schwacher Ströme auf sehr kleine Stellen, die wir der Kürze wegen Centra nennen wollen, beschränkt. Ganz geringe Verschiebung der Elektroden setzt zwar in der Regel noch die gleiche Extremität in Bewegung; wenn indessen zuerst z. B. Streckung erfolgte, so ergiebt die Ver- schiebung Beugung oder Rotation. Die zwischen den von uns so bezeichneten Centren liegenden Theile der Hirnoberfläche fanden wir zwar bei der beschriebenen Reizmethode und bei Verwendung der minimalen Stromstärke unerregbar. Wenn wir indessen entweder die Entfernung der beiden Elektroden von einander oder die Strom- stärke vergrösserten, so Hessen sich dennoch Zuckungen hervorbringen; 12 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. aber diese Muskelcontractionen ergriffen den ganzen Körper derart, dass sich nicht einmal wohl unterscheiden Hess, ob sie einseitig oder doppelseitig waren. Beim Hunde ist die Oertlichkeit der bald näher zu bezeichnenden Centra sehr constant. Die genaue Constatirung dieser Thatsache unterlag zuerst einigen Schwierigkeiten. Wir haben dieselben in- dessen dadurch beseitigt, dass wir zuerst diejenige Stelle aufsuchten, die bei der geringsten noch erregenden Stromstärke die stärkste Zuckung der betreffenden Gruppe ergab. Dann senkten wir eine Stecknadel zwischen den beiden Elektroden in das Gehirn des noch lebenden Thieres ein und verglichen nach Herausnahme des Gehirns die einzelnen so markirten Punkte mit denen der Spirituspräparate früherer Versuche. Wie constant die gleichen Centra gelagert sind, ergiebt sich am besten aus der Thatsache, dass es uns zu wieder- holten Malen gelungen ist, das gewollte Centrum ohne anderweite Eröffnung des Schädels im Mittelpunkt einer einzelnen aufgesetzten Trepankrone zu finden. Nach Abtragung der Dura zuckten die von dort abhängigen Muskeln mit derselben Sicherheit, als wenn die ganze Hemisphäre freigelegt gewesen wäre. Im Anfang freilich hatten wir auch bei ganz freiem Operationsfelde grössere Schwierig- keiten. Denn wenn auch freilich, wie bekannt, die einzelnen Hirn- windungen ganz constant sind, so zeigt doch ihre Entwickelung in ihren einzelnen Theilen und ihre Lagerung zu einander bedeutende Verschiedenheiten. Es findet sich sogar eher als Regel, wie als Aus- nahme, dass die correspondirenden Gyri der beiden Hemisphären desselben Thieres in einzelnen Theilen verschieden gebildet sind. Ausserdem ist einmal die mittlere Partie der Convexität mehr ent- wickelt, ein anderesmal sind es die nach vorn oder nach hinten ge- lagerten Theile1). Rechnet man dazu die Nöthigung dem Gehirn in nicht geringer Ausdehnung seine Hüllen zu lassen, ferner die Verdunkelung des Bildes durch die jedesmal andere, aber die Gyri manchmal sehr undeutlich machende Gefässvertheilung, so wird man sich, wenn es nun leicht geht, über die anfänglich von uns gefundenen Schwierigkeiten nicht gerade wundern. 1) Vgl. hierzu auch Reichert: Der Bau des menschl. Gehirns. Leipzig 1861, Abthl. IL S. 77. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 13 Um die Wiederholung unserer Versuche ferner zu erleichtern, geben wir nachstehende genauere Daten über die Oertlichkeit der einzelnen motorischen Centra, wobei wir uns der Nomenclatur von Owen1) anschliessen. Das Centrum für die Nackenmuskeln (s. A Fig. 1) liegt im lateralen Theile des praefrontalen Gyrus, dort wo die Oberfläche die- ser Windung den steilen Abfall nach unten nimmt. Das äusserste Ende des postfrontalen Gyrus birgt in der Gegend des lateralen Endes der frontalen Fissur (s. + Fig. 1) das Centrum für die Ex- Fig. 1. tensoren und Adductoren des Vorderbeines. Etwas nach rückwärts davon und mehr der Coronalfissur genähert (s. 4- Fig. 1) liegen die der Beugung und Rotation des Gliedes vorstehenden Centralgebiete. Die Stelle für das Hinterbein (s. # Fig. 1) befindet sieh ebenfalls im postfrontalen Gyrus, aber medianwärts von der für das Vorder- bein und etwas mehr nach hinten. Der Facialis (s. O Fig. 1) wird von dem mittleren Theile des supersylvischen Gyrus innervirt. Die betreffende Stelle übertrifft häufig an Ausdehnung 0,5 Cm. und er- streckt sich von der Hauptknickung oberhalb der sylvischen Furche aus nach vor- und abwärts. 1) On the anatomy of vertebrates. Vol. III. London 1868, p. 118. 14 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Wir müssen hinzufügen, dass es nicht in- allen Fällen gelang von der erstgenannten Stelle aus die Nackenmuskeln in Bewegung zu setzen. Die Rücken-, Schwanz- und Bauchmuskeln haben wir zwar oft genug von den zwischen den bezeichneten Punkten liegenden Partieen aus zur Contraction gebracht, indessen Hess sich eine circumscripte Stelle, von der aus sie isolirt zu reizen waren, nicht mit Bestimmtheit feststellen. Die ganze nach rückwärts von dem Facialis-Centrum liegende Partie der Convexität1) fanden wir auch gegen ganz unverhältnissmässige Stromintensitäten absolut unerregbar. Selbst bei Ausschaltung der Nebenschliessung, also bei Einwirkung eines Stromes von 10 Daniell erfolgte keine Muskelzuckung. Der Charakter der durch Reizung dieser motorischen Centren hervorgebrachten Zuckungen ist je nach Art der Reizung ein ver- schiedener. Die Reizung durch einfache metallische Schliessung des Kettenstromes giebt nur eine einfache, ziemlich schnell vor- übergehende Zuckung. Wenn man, anstatt die Kette in ihrem metallischen Theile zu schliessen, dies durch Aufsetzen der Elektroden thut, so bedarf man zur Erzielung des gleichen Effects grösserer Stromstärken. Also auch hier gilt das Gesetz von du Bois-Rey- mond. Die metallische Wendung ergiebt stets einen ceteris paribus grösseren Reizzeffect als die blosse Schliessung, ohne dass jedoch dabei zwei Zuckungen (die zweite für die Oeffnung) einträten. Nicht selten zeigte sich aber bei dieser Art der Reizung auch Tetanus der be- treffenden Muskelgruppe, namentlich wenn es sich um die Zeben- beuger handelte, obwohl weitere Reizmomente nicht Platz griffen. — Hatte zuerst die eine Elektrode, sei es auch nur kurze Zeit, einge- wirkt, so brachte gleich darauf die andere an derselben Stelle einen grösseren Reizeffect hervor als sie vorher und bald darauf vermochte. Während nun dies ganz übereinstimmt mit dem, was man von den Eigenschaften peripherischer Nerven weiss, können wir aus 1) Wir vermeiden absichtlich die Bezeichnung nach Lappen, da beim Hunde weder eine deutliche Lappenbildung existirt, noch auch das, was man etwa dafür ansehen kann, den menschlichen Hirnlappen der Lagerung nach entspricht, endlich auch, weil man bisher so gut wie gar nicht weiss, welche Theile beim -Hunde als bestimmten Theilen des Menschen adaequat zu be- trachten sind. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 15 einem gleichzu nennenden Grunde nicht unterlassen, auf ein hiervon abweichendes, übrigens physiologisch höchst interessantes Reizmoment kurz aufmerksam zu machen. Es handelt sich um ein durchaus constantes Vorwiegen der Anode. Ja es scheint so als ob innerhalb der minimalen Stromstärken nur die Anode Zuckungen auslöst. Wir haben zur Feststellung dieses Punktes, zu- nächst weil seine Kenntniss zur Erleichterung der Untersuchung sehr nothwendig ist, folgende Versuche gemacht und oft wiederholt. 1) Bei der gewöhnlichen Entfernung der Elektrodeu von einander wurde diejenige Stelle aufgesucht, von der aus man mit der minimalen Stromstärke Zuckungen auslöste, und um ganz sicher zu gehen, wurde erst mehrmals metallisch geschlossen. Alsdann wurde bei offener Kette der Strom gewendet, ohne dass die Elektroden ihren Platz veränderten und von Neuem geschlossen. Nun blieb die Zuckung aus. Wurde nun wieder geöffnet, gewendet, geschlossen, so war der Reizeffect etwas grösser als bei den ersten Schliessungen. Dies Hess sich beliebig oft wiederholen. Wenn nun die eine oder die andere der Elektroden unter wiederholten Kettenschliessungen ihren Platz verliess, so konnte dies die Kathode sein, ohne dem Reizeffect Ab- bruch zu thun. Die Anode durfte sich aber nicht weit von dem Reizpunkt entfernen, ohne dass entweder Ruhe oder Zuckungen in anderen Muskelgruppen auftraten. 2) Die Anode ruhte auf dem Streckcentrum, die Kathode auf dem Beugecentrum für die vordere Extremität. Schliessung gab Streckung, Wendung — (bei geschlossener Kette) Beugung, Wen- dung — Streckung, Wendung — Beugung und so fort. Es wurde also jedesmal das der Anode entsprechende Centrum erregt. Wir ziehen vor, uns der Betrachtungen über den Zusammen- hang der zuletzt angeführten Erscheinungen für jetzt zu enthalten. Die neuen Thatsachen, welche sich uns bei dieser Untersuchung zeigten, sind so mannigfaltig, und ihre Consequenzen erstrecken sich nach so vielen Richtungen hin, dass es für die Sache wohl von geringem Vortheil wäre, alle diese einer genauen Durchforschung bedürfenden Pfade auf einmal wandeln zu wollen. Hier müssen wir indessen noch anfügen, dass bei etwas längerer Kettenschliessung die stärker erregende Wirkung des Wechsels der 16 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Elektroden sich auch in folgender Art äussert. Hatten wir eine Zuckung hervorgebracht, dadurch dass die Anode sich auf einem Centrum, die Kathode auf einer, bei der benutzten Stromstärke indifferenten Stelle befand und Hessen wir die Kette etwas länger geschlossen, so löste manchmal nach vorgängiger Oeffnung die Schliessung des gewendeten Stromes eine einzelne, sehr selten eine einmal wiederholte Zuckung aus. Das heisst nach etwas längerer Einwirkung der Anode reagirt die centrale Nervensubstanz eine kurze Zeit lang selbst bei minimalen Strömen auch auf die Kathode. Man muss für diesen Versuch aus mehreren Gründen nur ganz schwache Ströme verwenden, namentlich auch weil stärkere Ströme durch Elektrolyse die Substanz sofort zerstören. — Bei der Reizung mit tetanisirenden Inductionsströmen1) sind die Reizeffecte ihrer Art nach nicht ganz so constant. Häufig treten tonische Contractionen der betreffenden Muskelmassen ein, die erst nach längerer Zeit in ihrer Intensität nachlassen. Häufig ist ein anfängliches Contractionsmaximum vorhanden, dem schon nach secundenlanger Dauer des Stromes ein so beträchtlicher Nachlass folgt, dass man die Contraction für ganz erloschen halten könnte, wenn nicht im Momente der Oeffnung noch eine geringe Bewegung im Sinne der nachlassenden Contraction erfolgte. Zu diesen Ver- schiedenheiten, sowie zu einigen gleich zu erwähnenden Erscheinungen scheint die Individualität des Versuchsthieres — seine grössere oder geringere Reizbarkeit in ursächlichem Verhältniss zu stehen. Bei anhaltender Verwendung stärkerer Ströme nämlich treten wohl Symptome der Erschöpfung auf, — die Erforderniss stärkerer Ströme zur Erzielung desselben Effects, auch wohl gänzliches Aus- bleiben der Zuckungen. Sehr oft kommt es dabei zu blutigen Suffu- sionen der Rindensubstanz. Häufiger jedoch beobachtet man nament- lich auch nach schwachen Strömen eine Reihe von Erscheinungen, denen der entgegengesetzte Sinn untergelegt werden muss. 1) Der folgende Passus, den ich übrigens ganz unverändert abdrucke, hat mehrfach zu Missverständnissen Veranlassung gegeben. Ich bemerke deshalb schon hier, dass die in demselben enthaltene Schilderung sich selbst- verständlich nur auf die von uns für beweisende Versuche benutzte Methode, Reizung mit der Stromstärke des Zuckungsminimums bezieht. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 17 Eduard Weber1) hatte bereits angegeben, dass nach Oeffnung eines das Froschrückenmark tetanisirenden Stromes Nachbewegungen in allen Körpermuskeln eintreten. Diese Thatsache scheint ganz in Vergessenheit gerathen zu sein. Wenigstens sollten wir meinen hätte sie sonst von den Vertheidigern der Erregbarkeit des Rückenmarks wohl als ein Argument benutzt werden können. Etwas ganz Aehnliches findet sich nun nach Tetanisiren der Hirnsubstanz. Schon nach einer Reizung von wenig Secunden Dauer treten Nachbewregungen in der abhängigen Musculatur ein, die im Gebiet des Facialis einen deutlich zitternden Charakter tragen. Die Extremitäten zeigen mehr das Bild klonischer Krampfbewegungen — Unterschiede, die jedenfalls, von der verschiedenen Art der Mus- kelanheftung abhängig sind. Diese localen Krampfanfälle können sich, auch wenn man dem Gehirn Ruhe lässt, mehrfach wiederholen. In einzelnen Fällen traten sie auch nach Misshandlung der Hirnsubstanz mit Schliessungen des Kettenstromes auf. In der Regel wurden sie aber nach Reizung mit diesen Strömen nicht beobachtet. Bei zweien unserer Versuchsthiere bildeten sich aus diesen Nachbewegungen wohlcharakterisirte epileptische An- fälle heraus. Der Anfall begann halbseitig mit Zuckungen in der vorher gereizten Musculatur, breitete sich aber dann auf alle Körpermuskeln aus, so dass es zu einem vollständigen Strecktetanus kam. Die Pupillen waren dabei ad maximum erweitert. Eins von den Thieren hatte zwei, das andere drei solcher Anfälle. Man könnte einwenden, das3 die Hunde schon früher epileptisch gewesen seien. Der eine Hund hatte sich aber bereits 6 Jahre lang bei derselben Herrin befunden, ohne je an Krämpfen gelitten zu haben. Die Ante- cedentien des anderen blieben unbekannt. — Wir gehen nun zur Widerlegung der Einwände über, die man gegen unsere Versuche erheben könnte. Der erste Einwand, der bei elektrischen Reizversuchen immer von Sachverständigen2) und nicht Sachverständigen vorgebracht wird, 1) R. Wagner's Handwörterb. d. Physiol. Bd. III, Abth. II, S. 15. 2) Uebrigens dürfte es für den einen oder den anderen Leser nicht über- flüssig sein, zu bemerken, dass unter den vielen Aerzten, denen wir unsere Hitzig, Experimentelle Untersuchungen. 2 18 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. stützt sich auf die Stromschleifen, welche zu entfernteren Theilen ge- langen können. Dieser Einwand ist, wenn wir von der Frage absehen, ob Rinden- oder Marksubstanz des Grosshirns erregbar sei leichter als irgend ein anderer zu beseitigen. Einmal waren die von uns zu den beweisenden Experimenten verwandten Ströme überhaupt nur schwach. Da aber die Substanz des Gehirns einen sehr grossen Widerstand besitzt, da ferner andere, leitende Theile nicht in der Nähe lagen, da endlich die Entfernung der Elektroden von einander nar gering war, so konnte nach den Gesetzen der Stromvertheilung in nicht prismatischen Leitern die Stromdichte schon in sehr geringer Entfernung von den Einströmungsstellen nur eine minimale sein. Dies würde schon a priori den fraglichen Einwand widerlegen. In- dessen haben wir noch eine grosse Reihe directer Beweise für uns. Sollten die Stromschleifen erstens zu den peripherischen Nerven ge- langen, so lagen ihnen immer die Nerven der gleichnamigen Seite näher, und sie hatten nicht den entferntesten Grund sich ausschliess- lich zu der anderen Seite zu begeben. Ferner lagen ihnen noch sehr viel näher als irgend welche andere in Frage kommenden Nerven, die motorischen Augennerven derselben Seite. Der so bewegliche, so im labilen Gleichgewicht balancirte Bulbus bildet ohne Präparation zu erfordern das vorzüglichste physiologische Rheoskop, er würde sich auch bei minimalen Stromschleifen viel eher bewegen, als eine Vor- derextremität, von den Hinterextremitäten gar nicht zu reden. Es giebt aber an der ganzen Convexität, so weit man sie freilegen kann, nicht eine einzige Stelle, von der aus man selbst mit stärkeren als die von uns gewöhnlich benutzten Ströme, irgend eine Bulbus- Bewegung erzielen kann. Hiermit wäre auch ein Theil derjenigen Frage, welche mich zur Aufnahme dieser Untersuchungen veranlasste erledigt.') Endlich führen wir noch eine Thatsache von hohem physiolo- gischen und pathologischen Interesse an. Es ist die, dass mit Versuche demonstrirt haben, sich auch mehrere gerade in dieser Beziehung sehr competente Fachgelehrte befanden, z. B. die Herren Prof. Nasse (Mar- burg) und Munk (Berlin). 1) Rücksichtlich des Centrums für die graden Augenmuskeln verweise ich auf die folgende Abhandlung. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 19 der Verblutung die Erregbarkeit des Gehirns ungemein schnell sinkt, um schon vor dem Tode fast ganz zu er- löschen. Unmittelbar nach dem Tode ist sie auch gegen die stärksten Ströme sofort ganz verloren, während Mus- keln und Nerven vortrefflich reagiren. Dies scheint uns zu erfordern, dass Versuche über die Erregbarkeit der Centralorgane bei ungestörter Circulation vorgenommen werden. — Man könnte zweitens meinen, wenn auch nicht peripherische Nerven oder das Rückenmark, von dem genau dasselbe zu sagen wäre, wie von jenen, so würden doch andere Hirnprovinzen als die grossen Hemisphären von Stromschleifen getroffen. Wenn sich dies so verhielte, so würde auch der Nachweis der elektrischen Erreg- barkeit anderer Hirnprovinzen ein wichtiger Fund sein. Denn auch von den Meisten unter ihnen wird ja gegenwärtig allgemein be- hauptet, dass sie der directen Erregung unzugängig seien. Indessen verhält es sich, wie selbst für die elektrische Reizung bewiesen wer- den kann, eben nicht so. Diejenigen Theile, denen überhaupt, wenn auch von wenigen Forschern, directe Erregbarkeit vindicirt worden war, sind hinterer Theil (Cauda) des Corp. striat., Thalam. optic, Hirnschenkel, Vierhügel, Brücke. Sehen wir zunächst einmal vom Corp. striatum ab, so liegen die sämmtlichen übrigen eben ange- führten morphologischen Bestandteile des Gehirns so weit nach hin- ten, dass sie alle bei Frontalschnitten erst getroffen werden, wenn man nach rückwärts bei den nicht mehr reagirenden Theilen des Grosshirns anlangt. Einzig ausgenommen ist das Corp. striat., dessen Cauda gleichwohl auch schon im Bereich der unerregbaren1) Zone liegt. Es wäre also möglich, dass gerade der vordere oder mittlere Theil dieses Ganglions, der Theil welcher unerregbar sein sollte, er- regbar und die Ursprungsstätte unserer Reizeffecte wäre. Von vorn- herein war Letzteres schon darum unwahrscheinlich, weil bei gleicher Stromstärke die Zuckungen schon aufhörten, sobald die Elektroden um wenige Millimeter ihren Ort veränderten. Denn wenn man durch die beiden gedachten Einströmungsstellen und einen senkrecht unter 1) Unerregbar nennen wir hier ohne Präjudiz alle diejenigen Gebiete, •on denen aus keine Zuckungen hervorzubringen sind. 2* 20 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. ihrer Verbindungslinie liegenden Punkt im Corp. striat. gerade Linien legt, so erhält man ein gleichseitiges Dreieck, dessen gleiche Seiten Strombahnen des geringsten Widerstandes abgeben würden. Da nun der Widerstand beider annährend gleich sein muss, so müsste ceteris paribus auch der Reizeffect derselbe sein, was nicht der Fall ist. Nicht zufrieden mit diesen, wenn auch schlagenden aprioristi- schen Beweisen betraten wir auch den Weg des directen Beweises. Zu diesem Zwecke gaben wir Carlsbader Insectennadeln eine dichte isolirende Hülle" dadurch, dass wir sie wiederholt in eine Lösung von Gutta percha in Chloroform tauchten. Nur die Spitze und der Kopf wurde leitend erhalten. Senkten wir diese Nadeln nun in den nach rückwärts gelegenen Theil des Grosshirns ein, so erhielten wir selbst bei unendlich viel stärkeren Strömen keine Spur einer Zuckung, bis die dann mehrere Ctm. tief eingedrungenen Rheophoren die Hirn- schenkel berührten. Dann aber bekam das Thier unter einem hef- tigen Sprunge allgemeine Muskelerschütterungen. Anders wenn in gleicher Weise die vordere Hälfte des Hirns erregt wurde. Hätte man anzunehmen, dass bis zum Corpus striatum gelangende Strom- schleifen die bei oberflächlicher Reizung auftretenden Zuckungen aus- lösten, so müssten die Letzteren beim Eindringen der Elektroden sich einfach allmählich verstärken. Dies war indessen nicht der Fall, sondern die Zuckungen verbreiteten sich vielmehr auf andere Muskeln und zeigten überhaupt ein anderes Verhalten, welches noch einer besonderen Untersuchung bedarf. Folglich lässt sich mit Be- stimmtheit annehmen, dass weder das genannte Ganglion noch die den Hirnstock zusammensetzenden Gebilde an den von der Convexität aus erregten Zuckungen einen Antheil hatten. Ein anderer Einwand, der erhoben werden könnte und der gegen alle früheren erfolgreichen Reizversuche an den Centralor- ganen (Rückenmark, Hirnstock) erhoben worden ist, würde sich auf reflectorisches Zustandekommen der Contractionen stützen. Auch dieser Einwand lässt sich durch schlagende Beweise entkräften. Reflexe könnten ausgelöst werden durch die Nerven der Dura und die der Pia mater, denn vor Erregungen benachbarter Nerven der Schädelbedeckungen waren wir durch ausgiebige Freilegung der Hirn Oberfläche geschützt. Ausserdem lagen an dem einen Wund- Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 21 rande die theilweise abgelösten temporalen Muskelmassen. Diese ihre Erregbarkeit wohl bewahrenden Gebilde hätten uns schon schwache Stromschleifen sofort verathen müssen. Sensible Fasern im Grosshirn selbst sind aber noch nicht nachgewiesen oder überhaupt angenommen worden.1) Auch giebt die gänzliche Unempfindlichkeit seiner Sub- stanz nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine solche Annahme. Was nun die Dura angeht, so haben wir schon oben (in Ueber- einstimmung mit Longet u. A.) angeführt, dass ihr eine gewisse Empfindlichkeit schon im physiologischen Zustande innewohnt, dass dieselbe sich aber nach Eröffnung der Schädelkapsel sehr schnell steigert. Es empfiehlt sich deshalb auch, hurtig zu operiren, weil anderenfalls das Versuchsthier, selbst wenn es festgebunden ist, durch die gewaltigsten Sprünge die Schonung der Hirnsubstanz bei Ab- tragung dieser Membran sehr erschwert. Hat man sie aber einmal bis zu den Knochenrändern abgetragen, so ist man vor Reflexen von ihren Nerven aus hinreichend geschützt. Wir versicherten uns dessen auf verschiedene Weise. Erstens lösten wir bei unseren Reizversuchen ja gekreuzte Zuckungen aus, während Reflexe immer zuerst auf der- selben Seite auftreten (Pflueger). Zweitens hörten die Zuckungen bei geringer Ortsveränderung aber bei gleicher Entfernung von den Resten der Dura auf. Drittens hörten sie selbst dann auf, wenn wir der Dura näher rückten, vorausgesetzt, dass wir nicht gerade moto- rische Centra trafen. Ja wir erhielten, immer unter der zuletzt ge- nannten Voraussetzung, nicht einmal Zuckungen, wenn die Elektroden dicht an der Dura aber noch auf der Hirnsubstanz standen. Berühr- ten wir jedoch viertens die Dura selbst, so traten in vielen Fällen, auch wenn kein Strom sie durchfloss, auf den elektrischen Reiz aber 1) Her zweite Theil dieses Satzes ist nicht mehr richtig. Schiff glaubt seither auf Grund unserer, von ihm bestätigter, sowie sehr mannichfach vari- irter eigener Versuche das Vorhandensein von sensiblen Muskelnerven im Grosshirn annehmen zu sollen. Er fasst danach unsere Reizeffecte als Reflexe auf, welche durch Reizung jener sensiblen Muskelnerven ausgelöst würden. Ich meinerseits habe die thatsächliche Uebereinstimmung zwischen einzelnen Versuchen Schiffs und meinen eigenen Parallelversuchen noch nicht her- beiführen können. Unter diesen Umständen halte ich es für besser die Dis- cussion über die Deutung auf die Zeit zu verschieben, zu der über ihre nothwendige Basis kein Zweifel mehr bestehen kann. 22 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. immer die heftigsten Reflexbewegungen in einer höchst charakteri- stischen Form auf. Diese sahen aber ganz anders aus, wie unsere anderweiten Reizeffecte. Zunächst trugen sie immer das Bild der Zweckmässigkeit; Zurückwerfen des Kopfes, Contractionen der Rücken- muskeln, Geschrei und Winseln selbst in der Morphium-Narkose, selten Bewegungen der Extremitäten. Ganz anders das Bild unserer Reizversuche. Hier liegen häufig selbst nicht narkotisirte Thiere un- beweglich, gleichgültig da, während wir bald eine vordere, bald eine hintere Extremität durch den elektrischen Reiz in Bewegung setzen. Die Pia kann man freilich nicht in gleicher Weise zurück- präpariren; im Gegentheil muss man mit ihr so schonend wie mög- lich umgehen. Denn die Verletzung eines einzigen ihrer zahllosen, strotzenden Gefässe überströmt das Operationsfeld mit Blut und kann den ganzen Versuch scheitern, das Thier nutzlos geopfert sein lassen. Indessen hindert dies nicht den Beweis ihrer Unwesentlichkeit für das Zustandekommen unserer Reizeffecte. Abgesehen von allen den Gründen, die wir schon gelegentlich der Besprechung der Dura an- führten, ist Folgendes mehr als genügend. Wir fanden die Pia (wie auch Longet u. A.) unempfindlich. Wir umschnitten sie über einem motorischen Centrum mit Schonung der grösseren Gefässe, ohne dass der Reizeffect sich änderte. Wir trugen sie an einer solchen Stelle ab — die Zuckungen blieben nie aus. Wir stachen isolirte Nadeln in die Hirnsubstanz ein, auch dann noch zuckten die Muskeln, wenn es im Bereich der motorischen Sphäre geschah, sie zuckten unter keiner von allen diesen Bedingungen, wenn wir die hintere Grenze dieser Sphäre überschritten. Es dürfte übrigens von Interesse sein, an dieser Stelle einzuschalten, dass weder die Morphium- noch die Aether- Narkose einen wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Versuche hat. Endlich wird man fragen, wie es denn kam, dass so viele frühere Forscher, darunter die glänzendsten Namen, zu entgegengesetzten Resultaten gelangten. Hierauf haben wir nur eine Antwort: „Die Methode schafft die Resultate." Es ist unmöglich, dass unsere Vor- gänger die ganze Convexität freigelegt haben, denn sonst hätten sie Zuckungen erhalten müssen. Die hintere seitliche Wand des Schädeldachs des Hundes, unter der allerdings keine motorischen Theile liegen, empfiehlt sich durch ihre Formation für das Aufsetzen Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 23 der ersten Trepankrone. Hier begann man wahrscheinlich die Ope- ration und versäumte nach vorn aufzubrechen, indem man von der irrigen Ansicht ausging, dass die einzelnen Felder der Oberfläche gleichwerthig seien. Man fusste auf der Eingangs entwickelten, noch heut weit verbreiteten Annahme von der Allgegenwärtigkeit aller seelischen Functionen in allen Theilen der Grosshirnrinde. Hätte man an eine Localisation der seelischen Functionen auch nur ge- dacht, so würde man die scheinbare Unerregbarkeit einzelner Theile des Substrats als etwas Selbstverständliches betrachtet und keinen seiner Theile ununtersucht gelassen haben. Denn dass wir mit un- seren Reizen Vorstellungen zu erwecken oder doch etwa erweckte am vivisecirten Thiere zur Anschauung zu bringen vermöchten, hat wohl keiner der bisherigen Forscher vorausgesetzt. Dies führt uns zur Besprechung einer Frage, die wiewohl un- berechtigter Weise an uns gerichtet werden könnte. Man könnte die Erklärung der Beobachtungen von uns verlangen, die in hin- reichender Zahl über chirurgische Verletzungen des Gehirns ohne Störung irgend welcher Function vorliegen1). Es wäre zunächst gar nicht unsere Sache, diesen anscheinenden Widerspruch zu lösen. Denn ehe diese Verpflichtung uns obläge, müsste man uns nach- weisen, dass gerade die Partieen, von denen wir reden, verletzt oder verloren waren — ein etwas schwieriges Unternehmen. Von anderen Theilen der Convexität wissen aber weder wir noch Andere etwas Genaueres; ausgenommen etwa das, was man von der dritten Stirnwindung weiss und das spricht grade für uns. Wie gesagt, der Widerspruch ist nur ein scheinbarer, die Theile des Grosshirns sind nicht gleichwerthig. 1) Auch ich habe einen solchen Fall während meiner Thätigkeit als diri- girender Arzt am allgemeinen Garnisonlazareth zu Berlin im Jahre 1866 be- obachtet. Einem Soldaten (Angelmeier) war ein Granatsplitter genau in die Glabella gedrungen und hatte dort ein dreieckiges Loch gemacht. Aus diesem Loche entleerte sich während wenigstens 14 Tagen immerwährend Gehirnsubstanz. Schliesslich heilte die Wunde von selbst zu. Sehr geistreich war dieser Kranke nicht, im Gegentheil schien er trägen Verstandes. Da man ihn indessen vorher nicht gekannt hatte, so war nicht zu entscheiden, ob er nicht von Natur geistig arm war. Grobe motorische oder sensible Störungen bot er jedenfalls nicht dar. 24 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Es scheint uns weiterhin sehr am Platze, an folgende diesen Punkt vollkommen treffende Bemerkung Griesing er 's1) zu erinnern. „Gegen die meisten dieser Beobachtungen Hessen sich man- cherlei Bedenken erheben. In fast allen Fällen ist nur die Intel- ligenz im engeren Sinne beachtet, die Gemüthsbeschaffenheit und „der Willenszustand ganz unbeachtet geblieben, und auch an die „Intelligenz wurden gewöhnlich nur die geringsten Anforderungen „gemacht, z. B. die Beantwortung einfacher, ärztlicher Fragen, um „sie für unverletzt zu erklären. In keiner dieser Beobachtungen ist „die Intelligenz in ihrem ganzen Umfange geprüft worden, und in „vielen derselben, nämlich in allen Hospitalbeobachtungen war eine „Vergleichung des Geisteszustandes nach der Erkrankung oder dem „ Substanzverluste mit dem früheren schlechterdings unmöglich u. s. w." Griesinger hat hier, wie es seine Materie erheischt, lediglich den psychischen Zustand im Auge. Genau das, was er von der Er- forschung des Zustandes der Seele verlangt, können wir mit noch grösserem Recht rücksichtlich somatischer Functionen fordern. Wo sind die Untersuchungen über Muskeleigenschaften oder die Quali- täten des Tastsinnes, die gerade hier mehr am Platze wären, als an manchen anderen Orten, an denen sie einen sachlichen Zweck kaum erkennen lassen! Wie wohl begründet diese unsere Forderung ist, das werden einige Versuche lehren, von denen im Folgenden noch die Rede sein wird. Blicken wir nun auf die bisherigen Resultate unserer Unter- suchungen zurück und fragen wir uns, was durch dieselben an Kenntniss der Eigenschaften des Centralorgans gewonnen ist, so liegt uns die Pflicht ob zu unterscheiden zwischen dem, was mit Recht als sicher gefolgert werden darf, und dem was nur wahrscheinlich gemacht worden ist. Als einen sicheren Erwerb können wir die zweifel- los bewiesene, in jedem Augenblick zu reproducirende Thatsache bezeichnen, dass auch centrale Nervengebilde zunächst auf einen unserer Reize mit einer in die Er- 1) Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. 2. 4ufl Stuttgart 1861, S. 4. Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 25 scheinung tretenden Reaction antworten. Dies allein hätte schon eine nicht geringe principielle Bedeutung für die Physiologie insofern damit der Widerspruch in der Definition beseitigt wird, auf den neuerdings Fick mit Recht hingewiesen hat und an den der Anfang dieser Arbeit anknüpft. Ebenso sichergestellt ist die Thatsache, dass ein beträchtlicher Theil der die grossen Hemisphären zu- sammensetzenden Nervenmassen, man kann sagen fast ihre eine Hälfte, in unmittelbarer Beziehung zur Mus- kelbewegung steht, während ein anderer Theil offenbar wenigstens direct nichts damit zu schaffen hat. So ein- fach, so selbstverständlich dies nun scheinen mag, so wenig war man bisher hierüber in's Klare gekommen. Wir beziehen uns zu diesem Zwecke auf das gelegentlich des historischen Ueberblickes Gesagte. Sprach man von solchen Centren im Gehirn, so wurden noch in neuester Zeit nur basale Theile, Pons, Thalami etc. ange- führt1), und bei der Erklärung jener Sectionsbefunde hielt man sich vorsichtig in möglichst allgemeinen Ausdrücken. Nur wenige Ge- hirnanatomen, unter denen namentlich Meynert zu nennen, hatten sich bisher, allerdings in anderer Weise als Gall,.für eine strenge Localisation der einzelnen psychischen Facultäten ausgesprochen. Werfen wir jedoch die Frage auf, ob die von uns ausgelösten Reizeffecte durch directe Einwirkung auf diejenigen Centren der grauen Rinde, in denen der motorische Willensimpuls entsteht, her- vorgebracht werden, oder ob man an Reizung der Markfaserung zu denken hat, oder ob noch ein Drittes möglich ist, so muss unsere Antwort bei Weitem reservirter gehalten werden. Nehmen wir selbst an, der Beweis für Auslösung der fraglichen Bewegungserscheinungen durch die gangliöse Substanz sei geliefert — und er ist es nicht — so wäre damit noch nicht bewiesen, dass nun bei denjenigen Bewegungserscheinungen, die durch inneres Geschehen frei werden, grade dieser Theil der Rinde das Substrat abgiebt für das erste nach aussen gerichtete Glied in der Kette, welche be- 1) Vgl. z. B. Griesinger a. a. 0. S. 1 und viele andere Autoren, doch auch derselbe S. 23. 26 Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. ginnt mit dem ersten Entstehen eines sinnlichen Eindruckes, und ihr vorläufiges Ende findet mit dem als Muskelbewegung erscheinenden Ausdruck des Wollens. Es ist vielmehr nicht undenkbar, und kann namentlich durch das, was wir in anatomischer Beziehung über den anastomosirenden Bau dieser Theile wissen, nicht ausgeschlossen werden, dass der Hirntheil, welcher die Geburtsstätte des Wollens der Bewegung einschliesst, noch ein anderer oder vielleicht ein vielfacher ist, dass die von uns Centra genannten Gebiete nur Vermittler abgeben, Sammelplätze, auf denen ähnliche aber zweckmässigere Anordnungen der Muskelbewegungen geschehen, als in der grauen Substanz des Rückenmarks und der Hirnbasis. In wie weit sogar eine gewisse physiologische Berechtigung, dieser Anschauung einen Platz zu lassen, von uns aufgedeckt ist, werden wir bald sehen. Nachdem wir in dieser Zurückhaltung den rein psychologischen Möglichkeiten den weitesten Spielraum gegönnt haben, und wir heben dies ausdrücklich hervor, wenden wir uns zu der Erörterung der Frage nach dem Werthe der grauen und der weissen Substanz für das Zustandekommen der von uns beschriebenen Reizeffecte. Wird die Frage in dieser Form gestellt, so dürfte es zu einem Theil be- reits jetzt möglich sein sie befriedigend zu beantworten. Wollte man aber statt der allgemeineren Begriffe graue und weisse Substanz die Worte Fasern und Zellen sich einander gegenüberstellen, so Hesse sich auch die Möglichkeit einer Lösung bisher nicht absehen. Denn da sich in der grauen Substanz Fasern und Zellen untrennbar mischen, ist eine isolirte Untersuchung der einzelnen morphologischen Bestand- teile unausführbar. Selbst wenn also der directe Beweis der Er- regbarkeit auch für die graue Substanz geführt worden wäre, würde man immer noch einwenden können, dass nicht die Ganglienzellen, sondern die zwischen ihnen verlaufenden Nervenfasern dieser Substanz den eigentlich erregten Theil abgäben. — Für den Augenblick steht die Frage so, dass wir durch die oben angeführten Versuche über das Einstechen isolirter Nadeln die Erregbarkeit der Marksubstanz hinlänglich bewiesen haben. Da nun die wesentlichen nervösen Be- standteile der Marksubstanz — die Nervenfasern — sich mit den gleichen anatomischen Eigenschaften in die Rindensubstanz fortsetzen, Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 27 liegt kein Grund vor eine wesentliche Aenderung ihrer physiologischen Eigenschaften eher anzunehmen als ihre anatomische Continuität durch neue Gebilde unterbrochen wird. Aus diesem Grunde lässt sich die Erregbarkeit eines Theiles der Fasern, auch der Rinde, mit Recht voraussetzen. Ob dieselben nur allein oder ob auch die Zellen erreg- bar sind, das ist, wie gesagt, mit den bisherigen Mitteln nicht hinlänglich sicher zu entscheiden. Gleichwohl lässt sich auf indirectem Wege ein einigermassen wahrscheinlicher Schluss auf die Function, wenn auch nicht auf die Erregbarkeit des zelligen Theiles der Rinde ziehen. Wir sahen bei Beschreibung unserer Experimente, dass auf die minimale Stromstärke Muskelcontractionen nur eintreten, wenn die Elektroden sich auf ganz bestimmten Stellen befinden und dass sie aufhören oder in andern Muskeln erscheinen, wenu die Elektroden sich von den gedachten Stellen auch nur um ein Geringes entfernen. Dies Verhalten lässt nur zwei Möglichkeiten zu. Entweder der Reiz wird durch die in unmittelbarer Nähe der Elektroden liegenden Ganglienzellen 'selbst aufgenommen und durch sie in Muskelbewegung umgesetzt, oder gerade an diesen Stellen treten reizbare Markfasern besonders nahe an die Oberfläche, so dass sie für die Erregung besonders günstig gelagert sind. Da nun kein anderer Grund zu erkennen ist, wegen dessen die fraglichen Markfasern sich gerade hier den Ganglienzellen am Meisten nähern sollten, als um ihrem Schicksale, in jene einzu- treten, entgegenzugehen, so kann man allerdings annehmen, dass gerade jene Ganglienmassen zur Production organischer Reize für gerade jene Nervenfasern bestimmt sind. Ob nun eine gewisse gewöhnlich zusammenwirkende Summe dieser organischen Reize genau dieselbe Bewegungsäusserung hervor- bringt wie unser elektrischer Reiz, das lässt sich durch die bisher angewendeten Methoden ganz und gar nicht entscheiden. Denn die einfache Lehre von den specifischen Energien genügt hier nicht, wir müssen vielmehr für die gefundenen neuen Thatsachen einen neuen Gesichtspunkt entwickeln. Wir haben hier nicht Nervenfasern, die geraden Weges zum Endorgan verlaufen, sondern ehe von der centralsten Stelle des Grosshirns entspringende Fasern dorthin ge- langen können, haben sie erst eine Anzahl von mehr und mehr 28 Ueber die elektrische Erregbakeit des Grosshirns. peripher gelegenen Stationen zu passiren, in deren jeder ihre frei gewordenen Spannkräfte in einer bestimmten, nicht genauer bekannten Weise umgesetzt werden, damit daraus das werde, was wir eine zweckmässige Bewegung nennen. Es ist nun selbstverständlich, dass wir durch einen, auf irgend einem Punkte dieser Bahn angebrachten Reiz höchstens nur das zur Anschauung bringen können, was auf der mehr peripher gelegenen Strecke und den mehr peripher gelegenen Stationen vor sich zu gehen pflegt, während die Functionen der cen- traleren Stationen sich der Beobachtung entziehen. Ja selbst dies lässt sich nur mit einer gewissen Beschränkung aussprechen, insofern als zur Hervorbringung einer bestimmten Bewegungsmodalität die Erregung einer grösseren Summe von Fasern erforderlich ist, die gleichwohl in den Centralorganen nicht so bequem beisammen liegen, als im Stamm eines peripheren Nerven. Indessen giebt es einen anderen Weg, die Frage nach der Bedeutung der einzelnen Theile der Rinde experimentell zu lösen; es ist dieExstirpation circumscripter und genau bekannter Theile derselben. Auch diesen langwierigen Weg haben wir in folgender Weise zu be- treten begonnen. Zwei Hunden wurde, nachdem die Weichtheile zurückpräparirt waren, der Schädel durch eine Trepankrone an der Stelle eröffnet, wo wir das Centrum für die rechte vordere Extremität vermutheten. Wir wählten das Centrum für eine Extremität, weil an einer solchen etwaige motorische Erscheinungen am deutlichsten hervortreten müssten, und wir wählten nicht das Centrum für die hintere Ex- tremität, weil dessen Lage uns möglicherweise der Eröffnung des Sin. longitudin. ausgesetzt hätte. Alsdann wurde die Dura der frei- gelegten Stelle entfernt, es wurde durch elektrische Reizung festge- stellt, dass wir die gewollte Stelle getroffen hatten, die Pia wurde soweit als erforderlich umschnitten und nun mit einem feinen Scal- pellstiel ein wenig von der Rindensubstanz herausgehoben. In dem einen Falle war das entfernte Stück etwa so gross wie eine kleine Linse, in dem andern Falle etwas grösser. Dann wurde die Haut- wunde durch Knopfnäthe vereinigt. In dem ersten Falle hatte das Thier bei der ganzen Operation nur einige Tropfen Blut verloren, in dem andern Falle war die Blutung nicht unbeträchtlich. Der erste Ueber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 29 Fall heilte per primam, der andere Fall nicht. Beide Versuchstiere boten nur dem Grade nach verschiedene Symptome dar. Der Art nach war ihr Krankheitsbild rücksichtlich der motorischen Störungen so conform als möglich. Diese vollkommene Uebereinstimmung der Resultate beider Versuche und deren Wichtigkeit für sämmtliche aus unsern andern Versuchen entspringenden Anschauungen veranlasst uns, ihrer schon hier Erwähnung zn thun, obwohl wir vor irgend einer Publication gern noch mehr gleichlautende Erfahrungen ge- sammelt hätten. Die Notwendigkeit dieser Arbeit einen vorläufigen Abschluss zu geben, verhinderte uns bisher daran, und im Uebrigen wird man sehen, dass für die von uns ad hoc zu ziehenden Schlüsse schon ein einziger gelungener Versuch genügt. Beide Versuchsthiere] zeigten nun unmittelbar nach der in der Morphium-Narkose vorgenommenen Operation etwas allgemeine Schwäche, die bald vorüberging. Dann aber beobachtete man in Kurzem Folgendes: I. Beim Laufen setzten die Thiere die rechte Vorderpfote un- zweckmässig auf, bald mehr nach innen, bald mehr nach aussen als die andere, und rutschten mit dieser Pfote, nie mit der anderen, leicht nach aussen davon, so dass sie zur Erde fielen. Keine Be- wegung fiel ganz ans, indessen wurde das rechte Bein etwas schwächer angezogen. II. Beim Stehen ganz ähnliche Erscheinungen. Ausserdem kommt es vor, dass die Vorderpfote mit dem Dorsum statt mit der Sohle aufgesetzt wird, ohne dass der Hund etwas davon merkt. III. Beim Sitzen auf dem Hintertheil, wenn beide Vorderpfoten auf der Erde stehen, rutscht das rechte Vorderbein allmählig nach Aussen davon, bis der Hund ganz auf der rechten Seite liegt. Unter allen Umständen kann er sich aber sofort wieder aufrich- ten. Die Hautsensibilität und die Sensibilität auf tiefen Druck zeigt an der rechten Vorderpfote keine nachweisbaren Abweichungen. Am schlagendsten fiel bei dem ersten Hunde ]) noch zu einer Zeit als die Wunde längst geheilt, alle Reaction vorbei war, am 1) Der zweite wird bei diesem Versuche nicht erwähnt, da er aus ex- perimentellen Gründen nur dreibeinig war. 30 üeber die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. 15. und sogar noch am 28. Tage nach der Operation folgender Versuch aus. Man setzte dem Hunde, während er stand, die rechte Vorder- pfote auf ihren vorderen, oberen Rand so nach innen und hinten, dass sie zwischen den anderen drei Beinen stand. Verhinderte man nun durch Streicheln den Hund, Ortsbewegungen vorzunehmen, so Hess er die Pfote beliebig lange in dieser unbequemen Stellung. Kam aber irgend ein Bewegungsimpuls über ihn, so lief er davon, sein krankes Bein fast ebenso munter bewegend, wie die andern drei. Derselbe Versuch war mit dem linken Beine gar nicht zu machen, da das Thierchen dieses Glied immer schon wieder zurückzog und in seine frühere bequeme Stellung brachte, ehe man damit in die ge- wollte Stellung kommen konnte. — Wir ersparen uns auch hier alle weiteren Schlüsse und Be- trachtungen, namentlich gewisse Vergleiche mit der menschlichen Pathologie für eine andere Gelegenheit, und constatiren nur Fol- gendes als wesentlich für die vorliegende Arbeit. Die beiden Ver- suchsthiere hatten durch Exstirpation eines Theils des von uns soge- nannten Centrums für die Vorderextremität die Möglichkeit, die Letztere zu bewegen, nur unvollkommen verloren, und an der Sensi- bilität wahrscheinlich gar nichts eingebüsst. Aber sie hatten offenbar nur ein mangelhaftes Bewusstsein von den Zuständen dieses Gliedes, die Fähigkeit, sich vollkommene Vorstellungen über dasselbe zu bilden war ihnen abhanden gekommen; sie litten also an einem Symptome, welches in einer sehr ähnlichen Weise bei einer Form der Krankheitsgruppe Tabes vorkommt, nur dass Verletzung einer sen- sibeln Leitungsbahn hier sicher nicht vorlag. Man könnte sich, um diesen Zustand näher zu bezeichnen, vielleicht so ausdrücken: Es bestand noch irgend eine motorische Leitung von der Seele zum Muskel, während in der Leitung vom Muskel zur Seele irgendwo eine Unterbrechung vorhanden war. Möglicherweise betraf diese Unterbrechung die Endstation der hypothetischen Bahn für den Muskelsinn, jedenfalls hatte sie aber ihren Sitz an Stelle des von uns verletzten Centrums. Wie dem nun auch sei, es ist gewiss, dass eine Verletzung dieses Centrums die willkürliche Bewegung des von ihm sicher in einer ge- Ueber die elektrische Erregbarkeit de9 Grosshirns. 31 wissen Abhängigkeit stehenden Gliedes nur alterirt, nicht aufhebt, dass also irgend einem motorischen Impulse noch andere Stätten und Bahnen offen stehen um geboren zu werden und um zu den Muskeln jenes Beines zu eilen, dass unsere Reservation (S. oben S. 26 u. 27) vollkommen am Platze war. Es ist aber ferner eben so sicher, dass eine solche Verletzung, obwohl ihre Erheblichkeit gegen die Ab- tragungen von Flourens, Hertwig u. A. verschwindet, sehr deutlich wahrnehmbare Symptome hervorbringt, wenn man nur den rechten Ort trifft; und zwar sind die Symptome grade an dem- jenigen Gliede wahrnehmbar, dessen Muskeln sich vorher auf elek- trische Reizung der nun zerstörten Massen contrahirten. Hieraus geht zur Evidenz hervor, dass bei den früheren colos- salen Verstümmelungen des Hirns entweder andere Theile gewählt worden sind, oder dass den feineren Verrichtungen der Bewegungs- mechanismen nicht die nöthige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es geht ferner aus der Summe aller unserer Versuche hervor, dass keineswegs wie Flourens und die Meisten nach ihm meinten, die Seele eine Art Gesammtfunction der Gesammtheit des Grosshirns ist, deren Ausdruck man wohl im Ganzen aber nicht in seinen einzelnen Theilen durch mechanische Mittel aufzuheben vermag, sondern dass vielmehr sicher einzelne seelische Functionen, wahr- scheinlich alle, zu ihrem Eintritt in die Materie oder zur Entstehung aus derselben auf circumcripte Centra der Grosshirnrinde angewiesen sind. — II. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns.1) Die vorliegenden Untersuchungen schliessen sich unmittelbar dem Inhalte der vorstehenden Arbeit an. Die in jener mitgetheilten Versuche müssten sich insofern sie ein ganz neues Gebiet eröffneten, natürlich nur auf eine mehr allgemeine Bearbeitung der wichtigsten Fragen beschränken. Dass das Detailstudium jeder Einzelnen der- selben wieder das Object besonderer Arbeit würde sein müssen, war vorauszusehen. Nachdem sich nun der Fortsetzung der von Fritsch und mir zum ersten Male mit nachgewiesenem Erfolg am Grosshirn ausge- führten Lähmungsversuche ein anderer Forscher mit vielem Glücke zugewendet hat, werde ich mich vorerst auf die Mittheilung von Reizversuchen beschränken. Ich begann dieselben bereits im Jahre 1870, konnte sie jedoch erst mit Beginn des Jahres 1873 wieder aufnehmen. Auch mit ihnen beanspruche ich nicht etwas Abge- schlossenes, sondern lediglich die Resultate einer längeren Arbeits- periode zu geben. 1. Polare Einflüsse. Wir hatten in jener Abhandlung bereits ein constantes Vor- wiegen der Anode erwähnt. Wir fanden, dass innerhalb der mini- malen Stromstärke nur die Anode, nicht aber die Kathode eine 1) Diese Abhandlung wurde unter dem Titel: „Untersuchungen zur Physiologie des Gehirns, vierte Abhandlung" zuert publicirt in Reichert's und du Bois-Reymond's Archiv 1873, Heft 3 und 4. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 33 Zuckung auslöst, ferner dass durch eine vorgängige Wendung die Erregbarkeit gegen beide Elektroden erhöht wird. Da die beiden Elektroden sich hier ganz anders verhalten, wie an peripheren Nerven, so war es unerlässlich, wenigstens die Kenntniss von den Thatsachen so weit als möglich zu befestigen und zu ver- vollständigen, wenn sich auch eine Erklärung derselben vielleicht noch nicht geben Hess. Den hierauf gerichteten Bemühungen standen grosse experimentelle Schwierigkeiten entgegen, die sich bei einem Theile der später anzuführenden Versuch« wiederholten und die ich deshalb hier ein für alle Mal erwähne. Das Eintreten oder Aus- bleiben eines Reizeffectes ist immer abhängig einmal von dem eigenen Verhalten des zu reizenden Organes, dann von der Art und Grösse der erzielten elektrischen Dichtigkeitsschwankungen. Mit Sicherheit vergleichbare Resultate lassen sich nur erreichen, wenn der eine Factor wenigstens constant erhalten werden kann. Die Reizversuche am Grosshirn haben aber den Uebelstand, dass beide Factoren un- beabsichtigten Veränderungen unterworfen sind. Die Veränderungen am Gehirn selbst beginnen, namentlich wenn das Versuchsthier nicht narkotisirt ist, mit und durch die vorbe- reitende Operation. Ist das Gehirn freigelegt, so beginnt es zu er- kalten und zu betrocknen, allmählig auch zu collabiren. Diese letzteren Veränderungen gehen indessen mit einer gewissen Stetigkeit und Langsamkeit vor sich, so dass man sie allenfalls controliren kann. Der plötzlichen Ueberfluthung des Versuchsfeldes durch Cerebrospinal- flüssigkeit lässt sich begegnen, wenn man einen kleinen von Zeit zu Zeit zu erneuernden Schwamm an einer basalwärts gelegenen Stelle zwischen Hirn und M.temporalis anbringt. Unberechenbar sind jedoch die in jedem Augenblicke wechselnden Veränderungen, durch welche die reizenden Stromstösse in ihrem absolutem Reizwerthe beeinflusst werden. Ein zu untersuchender Nerv liegt den Elektroden gleich- massig an; das Gehirn aber befindet sich in fortwährender Bewegung sowohl durch die Respiration als durch die arterielle Pulsation. (Die durch letztere bewirkten Bewegungen lassen sich in der Apnoe, als die Gesammtmasse des Gehirns verschiebend, vortrefflich beobachten.) Da man mit der Stromstärke des Zuckungsminimums zu untersuchen hat, so kommt dieser Umstand wesentlich in Betracht. H itzig, Experimentelle Untersuchungen. 3 34 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. Ferner machen die Thiere nicht selten mit dem ganzen Körper unvermuthete Bewegungen. Wenn man nun auch durch grosse Auf- merksamkeit das Eindringen der Elektroden in's Gehirn und die dadurch gesetzte Vereitelung des Versuches vermeiden kann, so muss man sich doch nach jeder willkürlichen Bewegung die eben inne ge- habte Stelle von Neuem aufsuchen und damit den Versuch von Neuem beginnen. Endlich gewinnt auch die zum Halten des Elektroden- paares unentbehrliche menschliche Hand nicht annähernd die gleich- massige Sicherheit einer mechanischen Vorrichtung. Unter diesen Umständen ist die am Nerven immer zu erzielende Gleichmässigkeit der Erscheinungen am Hirn um so weniger zu erreichen, als wie wir sehen werden durch jeden Reizversuch selbst erhebliche Veränderungen der Erregbarkeit entstehen. Wahrscheinlich spielen obenein die Lebensvorgänge innerhalb des Organes eine Rolle von der wir uns keine Vorstellung machen können. So müsste ich denn zufrieden sein, wenn ich durch häufige Wiederholung derselben Versuche dahin kam, die eintretenden Zu- fälligkeiten auf ihren wahren Werth zurückzuführen. Die Anordnung der Versuche war ähnlich der in der vorstehen- den Abhandlung beschriebenen. Nur benutzte ich diesmal eine 10- gliederige Kette von kleinen Meidingern, die einen etwas schwäche- ren Strom gaben als die Pappelemente, ferner konnte der Wider- stand der Nebenschliessung um einzelne S. EE. verändert werden, endlich war die Leitung überall durch Schrauben oder Quecksilber vermittelt. Die Versuche wurden an Hunden ausgeführt. — Wenn man die Reaction eines beliebigen Centrums von den schwächsten Strömen ausgehend untersucht, so findet man regel- mässig, dass bei zunehmender Stromintensität die erste Zuckung durch die Stromwendung hervorgebracht wird, und zwar wenn dabei die Anode auf das Centrum kommt. Dann fängt die einfache Anoden- Schliessung an, wirksam zu werden, dann die Wendung auf die Kathode, endlich die Kathoden-Schliessung. Untersucht man mit jeder der beiden Elektroden einzeln, ohne Wendungen dazwischen zu schieben, so findet man Folgendes: Bei der niedrigsten überhaupt erregenden Stromintensität löst nur die erste Anoden-Schliessung eine Zuckung aus, die folgenden erzielen Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 35 Ruhe. Wächst die Stromstärke genügend, so steigt die Zahl der aufeinanderfolgenden Zuckungen, aber so, dass die erste immer am stärksten ausfällt, und die Ausgiebigkeit der späteren gleichmässig abnimmt, bis sie endlich ganz ausbleiben. Schliesslich erreicht man eine Stromstärke, bei der die Zuckungen überhaupt nicht mehr aus- bleiben, mögen auch noch so viele Erregungen mit der gleichen Elektrode aufeinander folgen. Gleichwohl kann man dabei noch die mit der Zahl der aufeinanderfolgenden Zuckungen Hand in Hand gehende Abnahme ihrer Intensität erkennen. Die Kathode verhält sich ganz ähnlich, nur dass das Zuckungs- minimum stets viel höher liegt und die Zahl der bei gleicher Strom- intensität auftretenden Zuckungen immer hinter der durch die Anode hervorgebrachten zurückbleibt. Schiebt man eine Wendung dazwischen, so steigt bei beiden Elektroden das Zuckungsminimum sofort auf eine sehr viel niedrigere Stromstärke herab. Namentlich dieser Umstand ist es, der den Gedanken an einen bestimmenden Einfluss der Polarisation sofort wachruft. Unpolarisir- bare Elektroden Hessen sich nicht anwenden, so wurden denn während einer Reihe von Versuchen die Platinknöpfchen nach jeder Reizung abgewischt, bei einer anderen Reihe auch die gereizte Stelle mit einem feuchten Schwämme überstrichen, ohne dass dadurch aber die eigenthümliche Folge der Reizeffecte geändert worden wäre. Es änderte auch nichts, wenn ich zwischen je zwei Reizungen einen Zeitraum von 2 Minuten verstreichen Hess. Hingegen trat häufig Aenderung ein, wenn ich auf eine Anzahl wirkungsloser Reizungen eine solche mit einem um Vieles stärkeren, zuckungserregenden Strome, natürlich mit derselben Elektrode folgen Hess. Dann ging das Zuckungsminimum gegen den Reiz der gleichen Elektrode nicht selten sehr erheblich herab. Alles dieses spricht wohl nicht für einen bestimmenden Einfluss der Polarisation. Die Anode wirkt also durchgehends stärker als die Kathode; eine noch so kurze Schliessung der Kette setzt innerhalb schwacher und mittlerer Stromstärken die Er- regbarkeit gegen dieselbe Elektrode herab und erhöht sie gegen die andere. Das letztere Verhalten lässt sich aber 3* 36 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. einem analogen Verhalten der motorischen Nerven wegen der Kürze der erforderlichen Stromdauer und wegen der enormen Abschwächung des Reizeffectes durchaus nicht parallel setzen. Wenn man sich auf der Hirnrinde orientiren will, so muss man diese Thatsachen durchaus kennen und in Rechnung ziehen. Einige der hierher gehörigen Versuche waren ohne jede Narkose angestellt worden. Indessen ist dies wegen der willkürlichen Bewe- gungen und der stossweisen unregelmässigen Respiration der Hunde ausserordentlich beschwerlich. Ich untersuchte deshalb zuvörderst dasselbe Thier unmittelbar nach einander ohne und mit Morphium- Narkose. Nachdem sich die hierbei etwa vorhandenen Differenzen als durchaus in der Breite der Fehlerquellen liegend gezeigt hatten, wurden alle ferneren Versuche in der Morphium-Narkose angestellt. 2. Einfluss des Aethers und des Morphiums. Wir hatten a. a. 0. beiläufig erwähnt, dass weder die Aether- noch die Morphium-Narkose einen wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Versuche hat, und dieser Satz ist allerdings in der ihm gegebenen beschränkenden Fassung richtig. Indessen hatte ich bereits im Jahre 1870 gefunden, und dies auch auf der Natur- forscherversammlung in Leipzig ausgesprochen1), dass man durch sehr grosse Gaben Aether die Zuckungen zum Schweigen bringen kann2). Genaueres Studium ergab einen, nicht nur wegen der fer- neren darauf zu basirenden Schlüsse, sondern auch an und für sich sehr interessanten Sachverhalt. 1) S. das Tageblatt S. 75. 2) Am 27. April 1873 erhielt ich von Hrn. Professor Schiff einen Bogen (S. 529—544) aus einem noch nicht publicirten, in italienischer Sprache ge- schriebenen Buche. An dieser Stelle ist von ähnlichen Versuchen die Rede, wie die, von denen ich in diesem und dem nächsten Capitel berichten werde. Schiff kam aber zu ganz anderen Resultaten und Schlüssen. Ich bemerke, dass ich am 26. April 1873 32 Vivisectionen, von denen beinahe jede mehrere Versuchsreihen umfasst, bereits angestellt hatte, und 35 fernere noch an- stellte, und sage Hern. Professor Schiff für die gehabte Aufmerksamkeit meinen Dank. — Nachträglicher Zusatz: Das fragliche Werk ist mir inzwischen zu- gegangen; es ist die zweite Auflage von Schiffs Lczioni di Fisiologia speri- mentale sul sistema uervoso encefalico. Ich hege keinen Zweifel dass Schiff Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 37 Wenn man ein Thier so tief ätherisirt, dass jede Spur von Reflexen aufgehört hat, so findet man die elektrische Erregbarkeit des Gehirns theils erhalten, theils ver- loren. Ich untersuchte den Zustand der Reflexerregbarkeit stets von der Conjunctiva aus, und wandte ausserdem noch irgend eine intensive sensible Reizung an, Zerrung an den Resten der Dura, Application eines sehr starken Inductionsstromes innerhalb der Nase oder an einer kleinen Hautwunde zwischen den Zehen einer Hinter- pfote. Wenn nirgends mehr Reflexe auftraten, und das Thier mit Ausnahme der respiratorischen Bewegungen absolut ruhig lag, so reagirte das Grosshirn an der einen oder der anderen Stelle auch auf die stärksten Ströme nicht, während irgend eine andere Stelle sofort mit einer Reaction antwortete. Gab ich nun noch mehr Aether, so gelang es für kurze Zeit, aber in der That nur für ganz kurze Zeit, jede Reaction aufzuheben. Sobald aber mit der weiteren Zufuhr von Aether nachgelassen wurde, dauerte es nur Secunden, bis wieder Zuckungen zu erregen waren. Von dem geschilderten Verfahren habe ich nie auch nur eine einzige Ausnahme beobachtet. Es liegt aber auf der Hand, dass man, wie es geschehen ist, zu irrthümlichen Ansichten von den Wir- kungen der Aether-Narkose gelangen kann, wenn man den Schädel nur mittelst einer einfachen Trepankrone eröffnet, und damit zufällig auf eine unerregbar gewordene Stelle geräth. Von der Anwendung des Chloroforms habe ich abgesehen, nach- dem mir mehrere Hunde hintereinander bereits bei Beginn der In- halation todt geblieben waren. Das Morphium verhält sich in jeder Beziehung ganz anders wie der Aether. Man hat in neuerer Zeit den Satz aufgestellt, das zu denselben Resultaten wie ich kommen wird, wenn er die gleichen Ver- sachsbedingungen herstellt. Uebrigens hat derselbe unsere Bemerkungen über die Wirkung der Inductionsstrome nicht aufmerksam gelesen. Er citirt dieselben so, als hätten wir das Vorkommen tetanischer Contractionen bei Reizung mit Strömen der äusseren Spirale in Abrede gestellt. Man wolle sich auf Seite 16 überzeugen, dass wir dasselbe vielmehr ausdrücklich und zwar an der Spitze jenes Passus erwähnt haben. Damit würden auch die Schlüsse hinfällig werden, welche auf ein solches, lediglich vorausgesetztes Verhalten basirt sind. 38 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. Morphium erhöhe die Reflexerregbarkeit. Dieser Satz ist in dieser allgemeinen Fassung nicht genau, wie überhaupt durch die Beschrei- bungen die wirklich vorhandenen Symptome der Morphium-Narkose nicht erschöpft werden. Hierbei spielt die Dosirung und die Dauer der Vergiftung eine wichtige Rolle. Ich selbst bringe nur das für die gegenwärtige Untersuchung zu wissen Nothwendige bei, indem ich mich auf die Schilderung eines bestimmten Stadiums der Ver- giftung beschränke und mir nähere Angaben vorbehalte. Schmerz- hafte Eingriffe werden von einem gut durch Morphium narkotisirten Thiere selten mit Schreien und Versuchen sich loszureissen beant- wortet, auch die plötzlichen Rucke mit Kopf und Körper, welche sonst schon bei geringen Beleidigungen der Dura eintreten, fehlen bei diesen. Insbesondere beantworten die Thiere den von der Ope- rationswunde herrührenden continuirlichen heftigen Reiz nicht in der angeführten Art. Hingegen ist der reflecfcorische Lidschluss stets un- gestört, die Extremitäten werden auf schmerzhafte Eingriffe in der Regel zurückgezogen, und auf heftige Insultirung der Nase folgt in der Regel eine Wischbewegung mit der Vorderextremität. Mit mittleren Gaben Morphium betäubte Hunde verhalten sich also gegen Reflexreize ähnlich, wie Thiere, denen man das Grosshirn genommen hat. Reflexversuche und Reiz versuche an ätherisirten Thieren lassen andererseits den sicheren Schluss auf eine vorüber- gehende Lähmung einer sich durch das ganze Gehirn und Rücken- mark hindurchziehenden Organenkette zu. Ebenso verschieden gestaltet sich die Reaction des Grosshirns auf den elektrischen Reiz. Man kann den Hunden verhält- nissmässig grosse Dosen Morphium, sei es subcutan, sei es durch die Venen, beibringen, ohne dass die Reaction je aufhörte. Im Gegentheil scheinen die Reizeffecte schwacher Ströme bei mittelstarken Vergiftungen regelmässiger einzutreten, in- sofern als die die Erregbarkeit für die gleiche Elektrode herab- setzende Wirkung des Stromes nicht ganz so bedeutend ist. Wenn man sich der jetzt wohl allgemein acceptirten Ansicht, dass die Hirnrinde das Feld der Vorstellungen sei, anschliessen will, so stimmen diese Reizversuche mit den am Menschen gesammelten Erfahrungen über den Einfluss dieser beiden Mittel auf das Fort- Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns, 39 bestehen der Vorstellungen gut übereiu. Der Aetherschlaf führt eine absolute Pause in den psychischen Thätigkeiten herbei. Die Morphium-Narkose kann hingegen von Träumen belebt sein, die eine hinreichende Intensität gewinnen, um Erinnerungsbilder zu- rückzulassen. 3. Einfluss der Apnoe. Aus aprioristischen Gründen glaubte ich einen Einfluss der Ap- noe auf die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns annehmen zu sollen. Für diesesmal beschränkten sich meine Versuche darauf, den Zustand der Reflexerregbarkeit während der Apnoe und das gleich- zeitige Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der elektrischen Er- regbarkeit zu constatiren, während ich auf die genauere Feststellung gradueller Differenzen Verzicht leisten müsste. Rosenthal1) hatte ursprünglich die Reflexe auch in der Apnoe fortbestehen sehen. Später wollte jedoch Uspensky2) ihr Aus- bleiben beobachtet haben. Den von mir untersuchten Thieren wurde nach dem Schlage eines Metronoms durch einen ziemlich grossen und gut schliessenden Blasebalg Luft verschieden lange Zeit eingeblasen. Unmittelbar vor der gläsernen in der Trachea befestigten Canüle befand sich in dem Kautschuckschlauche ein viereckiges Loch, dessen zwei senkrecht auf die Längsaxe des Rohres stehende Seiten durch Einschnitte verlängert waren. Auf diese Weise war neben dem Loche ein federndes Ventil vorhanden, das bei der häufig angewendeten Steigerung des Druckes doch ein übermässiges Anschwellen desselben verhinderte. Die Respirationsfrequenz der Thiere wurde vor Beginn der Luft- einblasung beobachtet3), dann mit einer um etwas höher liegenden 1) Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus. Berlin 1862. S. 152. 2) Der Einfluss der künstlichen Respiration auf die Reflexe. Archiv für Anatomie und Physiologie 1869. S. 401. 3) Dabei sah ich, dass man den schnellen oberflächlichen Respirations- rhythmus geängstigter Thiere durch Atsatz eines verschieden langen Rohres nach Belieben verlangsamen, meist auch regelmässig machen kann. Bei manchen physiologischen Versuchen dürfte sich dies mit Vortheil verweithen lassen. 40 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. Zahl von Stössen begonnen und innerhalb der ersten 3—5 Minuten auf 120—150 Stösse gestiegen. Alsdann wurde der Druck all- mählig gesteigert. Waren nun die Thiere nicht narkotisirt, so machten sie wäh- rend der Ventilation, nicht selten schon während der Periode des niedrigen Druckes und sowohl bei geringer als bei grosser Frequenz der Einblasungen, fast regelmässig aber während des höheren Druckes willkürliche Respirationsbewegungen, die im letzteren Falle beim Pau- siren des Blasebalges mit einer tiefen Exspiration endigten. Ausser- dem suchten sie sich wohl mit aller Kraft loszureissen. Wenn man nun unmittelbar nach diesen willkürlichen Actionen die hinreichend lange fortgesetzte Ventilation unterbrach, so war gleichwohl Apnoe vorhanden. Dass unter diesen Umständen die Reflexerregbarkeit un- versehrt war, bedarf keiner Erwähnung. Waren aber dieselben Thiere durch Morphium betäubt, so lagen sie still und die Apnoe dauerte länger — bis zu 6 Minuten. Nichts- destoweniger zeigte die Reflexthätigkeit keine erhebliche Veränderung. Höchstens trat auf Berührung der Wimpern kein Lidschluss ein, wenn man die Lider sanft mit den Fingern fixirte. Liess man je- doch die Finger fort, oder berührte die Conjunctiva, so war der Lidschluss sofort da. Ich gebe auf der folgenden Seite das Protokoll eines derartigen Parallelversuches. Nachdem das in demselben erwähnte Thier 29 Minuten lang ohne gleichzeitige Narkose ventilirt worden war, trat eine unvollständige Apnoe von 90 Secunden ein, während eine Venti- lation von nur 16 Minuten das narkotisirte Thier in eine Apnoe von 205 Secunden, die während 140 Secunden vollständig war, versetzte. Die Erklärung für das fragliche Verhalten liegt auf der Hand. Furcht und Schmerz, hier hervorgerufen durch die Reizung der Nerv. laryng. inferr., vermehren das Respirationsbedürfniss namentlich kleinerer Thiere bekanntlich ganz enorm, durch das Morphium aber wird das Zustandekommen dieser Affecte verhindert. Ich brauche wohl kaum hinzuzusetzen, dass ich mich durch Controlversuche überzeugte, dass nicht etwa die Wiederholung der künstlichen Respiration als solche, sondern in der That das Narko- ticum den erwähnten Einfluss ausübte. Kleiner Hund von 3000 grm. Respirationsfrequenz durch die Canüle 170, durch den 1,5 m. langen Schlauch 64 und viel tiefer. Ohne Morphium. Derselbe Hund in Morphium - Narkose. Injection: Minute 35. Zeit. Künstliche Respiration. Verhalten der Reflex- und sonstigen Bewegungen. Zeit. Künstliche Respiration. Verhalten der Reflex- und sonstigen Bewegungen. Min. 1—4. 4—10. 10. 24. - 10-29. Beginn der Min. 30. Min. 29 S. 2. - 29 -24. 30 -30. 95—150 geringer Druck. 150 geringer Druck Anwachsen des Druckes. 150 unter hohem Druck. Aussetzen. Versuche sich loszureissen, Min. 42—46. willkürliche Respirationen. 46—47. - 48-57. Beginn 58. Desgleichen. Min. 58 incl Desgleichen. —59 See. 20. 100—150 geringer Druck. 150 geringer Druck. Hoher Druck. Aussetzen. Tiefe Exspiration. Tiefe In- und Exspiration, darauf wellenförmige Bauch- und Thoraxbewe- gungen. Regelmässige Respiration, 30 in der Minute. Reflexe während der ganzen Zeit intact. Min.59Sec.20. - - 27. 60 - 15. - - 25. Vollständige Apnoe, wäh- rend derselben spontane Schluckbewegungen. Athemzug. Athemzug. Athemzug. Regelmässige Respiration, 36 in der Minute. Reflexe während der ganzen Zeit intact. 42 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. Wenn man nun ein Thier zur künstlichen Respiration vor- bereitet, es alsdann in tiefe Aether-Narkose versetzt und endlich die künstliche Respiration einleitet, so verhält es sich so lange die Aetherwirkung dauert, nämlich 5—10 Minuten lang wie ein narko- tisirtes, alsdann aber wie ein nichtnarkotisirtes Thier, d. h. die Apnoe kommt schwer und unvollkommen zu Stande — die Reflexe hören nur während der tiefen Narkose gänzlich, nachher ganz und gar nicht auf. Man mag aber ein Thier auf welche Weise man will apnoisch machen, niemals ist während der Apnoe ein Aufhören oder deutliches Nachlassen der elektrischen Erregbarkeit des Grosshirns zu beobachten. Geringere Schwankungen der Erregbarkeit, sowohl positive als negative, habe ich allerdings gefunden. Wie viel auf diese jedoch zu geben ist, lehren die ad 1 erwähnten Verhältnisse. Die bisher angeführten Versuche wurden hauptsächlich in der Absicht angestellt, das Material zu vermehren, auf Grund dessen man sich ein genaueres und mehr motivirtes Urtheil wird bilden können über die Art, wie die von uns beschriebenen cerebralen Zuckungen zu Stande kommen. 4. Augenmuskeln und Facialis. Fritsch und ich hatten früher vergeblich nach einem Centrum für die Augenmuskeln gesucht. Gleichwohl schien mir ein Centrum auch für diese Muskeln im Grosshirn existiren zu müssen. Man kennt zwar bereits verschiedene Hirnprovinzen, deren Reizung die Bulbi in Bewegung setzt. Da diese Bewegungen aber sämmtlich combinirte beider Augen sind, so durfte man wohl annehmen, wie ich dies anderweitig1) bereits ausgesprochen habe, dass sie nicht von Vorstellungs-, sondern vielmehr von Reflex- oder Coordinations- organen abhingen. Es müsste also der Analogie nach noch irgend- wo, vermuthlich in der Grosshirnrinde, ein Organ für isolirte Augen- bewegungen mit ähnlicher Dignität, wie die übrigen von uns gefun- denen Centren, existiren. 1) Reichert's und du Bois-Reymond's Archiv 1871. S. 756. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 43 Meine Voraussetzung fand sich durch die Wirklichkeit auf das Vollständigste gerechtfertigt. Nachdem ich der Sache auf die Spur ge- kommen war, sah ich auch sogleich, warum wir früher weniger glück- lich gewesen waren. Das Centrum für die Augenmuskeln fällt nämlich mit einem Theile des Facialis-Centrums zusammen s. Fig. 2 O. Wir wurden also durch den Lidschluss, und bei Verhinderung desselben durch die dennoch stattfindende Contraction des Orbicularis palpe- brarum gestört. Ausserdem sind die Excuxsionen des Bulbus bei dieser Form des Versuches manchmal selbst auf starke Strömen nur gering. IBTltJ^Fig. 2. Zur Beseitigung dieser Hindernisse machte ich, als ich sie erst einmal kannte, den Versuchsthieren die Neurotomie des Facialis und stach ausserdem eine Carlsbader Nadel, an deren Kopf eine senk- rechte Papierfahne befestigt war, als Fühlhebel durch das Centrum der Cornea in den Glaskörper. Als ich nun die Centren so hergerichteter Thiere reizte, machte der Fühlhebel synchronisch eine Bewegung in der Regel nach einer Richtung, manchmal aber auch zwei ausserordentlich schnell auf- einander folgende Bewegungen nach entgegengesetzten Richtungen, so 44 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirus. dass der zweite Theil der ersten Bewegung von der zweiten gleich- sam verschlungen wurde. Ferner war sehr auffallend, dass man bei der einen Reihe von Versuchen immer dieselbe Muskel- und zwar mit Vorliebe Superior-Wirkung bekam und keine andere, und dass dann bei einer anderen Reihe ein anderer Muskel, insbesondere der Abducens an die Stelle des Superior trat. Die Erwägung der eben angeführten Umstände Hess mich den Schluss ziehen, dass die Innervation der Augenmuskeln ebenso um einen relativ kleinen Heerd gruppirt sei, wie wir das von den ein- zelnen Muskelmechanismen der Extremitäten nachgewiesen haben, und wie ich es gelegentlich der vorliegenden Arbeit noch mehr im Detail studirte. Wenn dieser Schluss richtig war, so erklärte sich das Zustandekommen der zuerst angeführten Doppelbewegung daraus, dass der Verlauf der Stromcurve in dem Centrum für den einen Augenmuskel ein um etwas anderer war, als in dem Gebiete des Antagonisten. Das sodann angeführte gänzliche Ausbleiben der Be- wegung nach drei von den vier Seiten hin war andererseits dadurch zu erklären, dass Lagerungs- und Leitungsverhältnisse im gegebenen Falle auch bei Verschiebung der Elektroden für das nach der vierten Seite hin drehende Centrum so besonders günstig blieben, dass in Folge stärkerer Erregung dieses Centrums die Erregung der anderen Centren latent blieb. Mit der Voraussetzung gemeinschaftlicher Er- regung sämmtlicher Centren war auch die Geringfügigkeit der Ex- cursionen überhaupt leicht verständlich. Der Nachweis für die Richtigkeit meiner Annahme war leicht zu führen. Ich durchschnitt einfach den einen der Augenmuskeln nach dem anderen, je nach der Reihenfolge, in der ihr Reizeffect zu Tage trat, und hielt den Bulbus an einem durch die Conjunctiva gezogenen Faden in der Mittelstellung. So gelang es mir, die Wir- kung der vier graden Augenmuskeln nach einander zur Anschauung zu bringen, mit den schiefen habe ich mich nicht beschäftigt. Der Index des Auges der gleichen Seite blieb inzwischen, wie ich noch hervorhebe, stets in Ruhe. Diese Thatsachen sind in verschiedener Beziehung von Interesse. Erstens erkennen wir dort ein Organ, von dem aus man in der That einseitige Bewegungen jedes Auges hervorbringen kann, also Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 45 Bewegungen, die wesentlich unterschieden sind von den Reizeffecten anderer Centralgebiete der Augenmuskeln. Zweitens erklärt sich aus dem Ineinandergreifen der Inner- vationsgebiete des Facialis und der Augenmuskeln rein anatomisch der längst bekannte Consensus zwischen Lid- und Bulbusbewegungen, der nun bei undurchschnittenem Facialis von dem elektrischen Reize nachgeahmt, reproducirt wird. Wir müssen bekanntlich bei Hebung oder Senkung der Blickebene das obere Lid zwangsmässig ebenfalls heben oder senken, während andererseits eine kräftige Innervirung des Sphincter palpebrarum den Bulbus in die Höhe steigen lässt. Diese Thatsache gewinnt aber drittens an Gewicht, wenn ich hinzufüge, dass von dem angeführten Innervationscomplexe aus, was den Facialis angeht, auch nur die um das Auge gelagerten Muskeln versorgt werden. Die Muskeln der unteren Gesichtshälfte lassen sich hingegen von einer mehr lateral und basalwärts gelegene Partie aus reizen. Man kann deswegen diesen eben in Frage kommenden Heerd, unbekümmert um den Verlauf der von ihm abhängigen peripheren Bahnen, als ein für die Bewegung und den Schutz der Augen be- stimmtes Centrum auffassen. 5. Umfang und erregbare Verbindungen der Centren. Aus dem, was unter 1. über die herabstimmende Wirkung der Pole gesagt worden ist, erhellt, dass die räumliche Ausdehnung der von uns sogenannten Centren, sowie ihre erregbaren Verbindungen und Verbindungsbahnen mit einiger Sicherheit nur durch metallische Strom Wendungen erforscht werden können. Ich benutzte zu diesem Zwecke die Pohl'sche Wippe. Die sonst ja so viel bequemeren tetanisirenden Inductionsstrome darf man nicht anwenden, da schon ganz schwache Ströme zu Nachbewegungen und epileptiformen An- fällen führen. Jeder epileptiforme Anfall lässt das Gehirn in einem für diese Versuche unbrauchbaren Zustande zurück. Für eine richtige Beurtheilung der von der Convexität aus her- vorgebrachten Reizeffecte müssen die Blutgefässe der Pia in Rech- nung gezogen werden. Wenn überhaupt keine Blutgefässe vorhanden wären, sondern das Reizobject eine gleichmässig feuchte Masse aus- machte, so könnte man sich das bei schwachen Strömen von wirk- 46 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. samen Schleifen durchzogene Gebiet etwa in der Form einer Halb- kugel vorstellen, deren Schnittfläche auf der Convexität läge. Dass die Radien dieser Halbkugel nur klein sind geht aus dem bei ge- ringer Verschiebung der Elektroden vorhandenen Aufhören der Reiz- effecte und aus anderen in der Folge anzuführenden Umständen her- vor. Sobald aber ein Blutgefäss der Pia jene imaginäre Schnittfläche kreuzt, blendet es als gutleitende Neben Schliessung alle sonst jenseits seiner Bahn fallenden Stromschleifen ab. Der Gyrus d der Fig. 3 ist in einem lateralen Theile motorisch, in den übrigen Theilen ist er nicht motorisch. Die ihn bedeckende Pia enthält eine kleine Vene, welche sich an der Grenze des late- ralen Viertels dieses Gyrus in den von der Fissura frontalis aufge- nommenen Stamm ergiesst. (Entsprechend der medialen Grenze der Schraffirung Fig. 2 u. 3). Dieser Ast liegt in seltenen Fällen mehr lateralwärts, so dass er eine fast gradlinige Fortsetzung des Stammes zu bilden scheint. Befindet sich dieser Ast an der gewöhnlichen Stelle, und placirt man die Elektroden selbst unmittelbar neben seinen medialen Rand, so kann man mit unverhältnissmässig starken Strömen reizen, ohne dass ein Reizeffect eintritt. Befindet sich der Ast aber an der ungewöhnlichen Stelle, so führt bei Wahl der gleichen Einströmungsstellen schon eine massige Verstärkung des Stromes über den Werth des Zuckungsminimums zu Muskelcontrac- tionen. Man wird also annehmen dürfen, dass die erregbare Zone mit dem lateralen Viertel des durch d Fig. 3 bezeichneten Gyrus abschneidet. Nach der gleichen Methode wurde die hintere Grenze der erregbaren Zone bestimmt. Eine wesentliche Erleichterung für das Auffinden der erregbar- sten Stellen bietet der Umstand, dass diese immer in einem Räume Hegen, welcher von kleinsten, für das blosse Auge sichtbaren Ge- fässen freigeblieben, ringsum durch die Verästelungen mehrerer Ge- fässzweige eingefasst wird. Wäre mir dieses, namentlich im super- sylvischen Gyrus (Owen) deutliche Verhalten früher bekannt gewesen, so würde mir viele Mühe erspart worden sein. Da der Verbreitungsbezirk wirksamer Stromschleifen, wie schon angeführt, bei schwachen Strömen klein ist, so kann man den Schluss ziehen, dass Reizeffecte, welche auftreten nachdem man sich um Untersuchungen zur;Physiologie des Grosshirns. 47 etwas von dem eigentlichen Centrum entfernt, und den Strom um ein Geringes über den Werth des Zuckungsminimums verstärkt hat, von solchen Gebilden abhängig sind, die nicht tief unter der Ober- fläche und zwar der jedesmal erforderlichen Stromverstärkung ent- sprechend tief unter ihr gelagert sind. Freilich ist es in jedem ein- zelnen Falle nöthig, diese Annahme dadurch zu controliren, dass man die Elektroden bei gleicher Stromstärke gleichweit in anderer Richtung von den Centren, welche durch Schleifen gereizt sein könnten, nach einem nicht von grösseren Gefässen durchzogenen Terrain dislocirt. Wegen der mit Sicherheit nicht berechenbaren Gefässeinflüsse haben derartige Schlüsse jedoch immer nur den Werth der Wahrscheinlichkeit, nicht den der Sicherheit. Fig. 3. 5 Fossa Sylvii. 14 Fissura frontal. (Owen), cruciata (Leuret). 12 Fiss. coron. (Owen), a-d Stirnwindungen, e-h Scheitelwindungen, m-o Hinter- hauptswindungen, i-l _ Schläfenwindungen. Auf Grund dieser Anschauungen und Methoden wurden die auf der Figur 2 und 3 markirten Grenzen gezeichnet. Am Weitesten nach Hinten liegt das Centrum für Facialis und Augenmuskeln. Die doppelt geschwänzten Punkte fassen den von mir sogenannten Heerd für Bewegung und Schutz des Auges ein. Die durchkreuzten Punkte bezeichnen einen Heerd für die untere Hälfte des Gesichtsnerven.1) 1) Ergänzende Untersuchungen über diese Aggregate des Facialis finden sich in der nachfolgenden Abhandlung. 48 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. Die zwischen beiden liegenden einfachen Punkte begrenzen ein Ge- biet, welches weniger erregbar als die eben genannten, aber erreg- barer als die nach vorn liegenden Nachbargebiete ist, und zum Facialis in Beziehung steht. Im Uebrigen sollen die Zeichen die Mittelpunkte der erregbar- sten Stellen, und die Stärke der sie umgebenden Schraffirung den Grad der Erregbarkeit von der Oberfläche aus andeuten. In Folge der variablen Form der Gyri wird man die einzelnen Centren ge- legentlich etwas verschoben finden. Der Strich im Gyrus e Fig. 2 (vgl. Fig. 3) bedeutet einen Punkt, welcher gleichzeitige Innervation der beiden rechten Extremitäten setzt. Zwischen ihm und dem Cen- trum 4- liegt wieder eine weniger erregbare Strecke. Bei A bedarf man überhaupt etwas stärkerer Ströme. Je nach der gewählten Stromintensität und je nach geringen Ortsverände- rungen bewegen sich bei Reizung dieser Stelle nur Nacken- oder Hals-oder Rumpfmuskeln gemeinschaftlich. Wenn man durch Zurück- präparirung der Haut die oberflächlichen Nackenmuskeln entblösst, so kann man sich ferner durch das Gesicht und durch Zufühlen über- zeugen, dass sich bald einmal diese, bald wieder die tiefen Schichten contrahiren. Ausserdem sieht man aber, dass die Zusammenziehung bald einseitig bald doppelseitig und zwar mit gleicher Stärke, oder auch bald einmal rechts bald einmal links stärker, ferner mit einer gewissen Langsamkeit vor sich geht. Ebenso contrahiren sich die sämmtlichen Muskeln des Rumpfes bei einseitiger Reizung doppel- seitig. Wenn man mit einem Lanzenrheophor1) am lateralen Ende der Furche 14 bei o bis zu einer Tiefe von 9—12—18 Mm. einsticht und dann reizt, so erhält man 1) doppelseitige starke Contractionen sämmtlicher Stammmuskeln, 2) ausgedehnte und starke Contractionen an beiden gegenüberliegenden Extremitäten, 3) beschränktere aber kräftige Contractionen der hinteren gleichseitigen Extremität, 4) schwache und beschränkte Contractionen der gleichseitigen Vorder- 1) So nenne ich ein Instrument, welches aus einer starken, durchbohrten, stählernen Lanzennadel besteht, die in der Bohrung einen isolirten Platin- draht führt. Nadel und Draht sind mit je einem Pole verbunden. Aeussere Isolirung der Lanze ist nicht erforderlich. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 49 extremität. Auf Frontal- und Sagittalschnitten erkennt man alsdann, dass man sich in der vorderen Spitze des Linsenkernes befand. Geht man noch tiefer und bis auf die Basis ein, so hören selbst bei viel stärkeren Strömen die Zuckungen wieder gänzlich auf. Auch dies spricht dafür, dass der Leitungswiderstand der Hirnsubstanz gross, der Verbreitungsbözirk wirksamer Stromschleifen bei schwachen Strö- men klein ist. Meine Untersuchungen über Reizung mit dem Lanzenrheophor sind nicht weit genug gediehen, um detaillirte Angaben machen zu können. Es sei jedoch erwähnt, dass man bei Einstichen innerhalb der erregbaren Zone gleichzeitige Zusammenziehungen einer meist grösseren Anzahl von Muskeln erhält, welche je nach der Oertlich- keit und Tiefe des Einstiches, sowie je nach der Stärke des Stromes sehr verschieden gruppirt sind. Aehnliche Resultate erhält man bei Anwendung starker Ströme von der Convexität aus. Andererseits gelingt es dort auch durch vorsichtige Abstufung des Stromes bei geringer Verschiebung der Elektroden einzelne Muskeln und selbst Theile von Muskeln in Bewegung zu setzten. Doch scheint mir die Aufzählung der zahlreichen nach beiden Richtungen gemachten Be- obachtungen von geringem Interesse. Im Allgemeinen kommt es, wie früher erwähnt, leichter zu combinirten Actionen. Es gelingt so auch im vorderen Theile der erregbaren Zone ähnlich wie im supersylvi- schen Gyrus eine Gruppirung von in der Peripherie benachbarten Muskelmechanismen um einen centralen Punkt zu erkennen. Aus den anderweitigen Reizeffecten, wie ich sie geschildert und gezeichnet habe, geht hervor, dass diese centralen Gebiete noch innerhalb der erregbaren Zone mannichfaltige Verbindungen unter einander eingehen, bis sie sich im Linsenkern zu einem grossen ge- meinsamen Innervationscomplexe vereinigen. Wenn nun von dieser Stelle aus doppelseitige Erregungen gesetzt werden, so entspricht dies, insbesondere die Vertheilung der Erregungen in einer überaus schönen Weise anderweitig gewonnenen Erfahrungen und Voraus- setzungen. H e n 1 e hat seit Jahren wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die Kreuzung der Fasern nur dann einen Sinn habe, wenn dadurch Vertheilung der Faserung an beide Hemisphären bewirkt Hitzig, Experimentelle Untersuchungen. 4 50 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. werde.1) Den angeführten Thatsachen entsprechend giebt ferner Schiff an, dass dauernde cerebrale Hemiplegie bei Thieren nicht, wohl aber Lähmung der gleichnamigen hinteren Extremität häufiger als beim Menschen vorkomme. In der That drohte ja schon das, wenngleich ausserordentlich seltene Vorkommen ungekreuzter Läh- mung beim Menschen die grösste Verwirrung der Anschauungen hervorzubringen. Andererseits sehen wir, dass in der gewöhnlichen Form der Hemiplegie des Menschen die Stammmuskeln frei bleiben, oder sich bald erholen, insbesondere auch nie von secundären centralen Con- tracturen befallen werden. Ich habe an einem anderen Orte2) bereits nachgewiesen, wie die Häufigkeit und Stärke dieser Contracturen in gradem Verhältnisse steht zu der Complicirtheit der motorischen Ver- richtungen, welche jedem Körpertheil zufallen, so dass eben Thiere und diejenigen menschlichen Mechanismen, welche denen der Thiere in nichts überlegen sind, von dieser Affection verschont bleiben. Wenn wir nun erkennen, dass beim Hunde doppelseitige cen- trale Innervation im umgekehrten Verhältniss zur Complicirtheit der Aufgaben, aber in gradem Verhältniss zu der vorhandenen Zwangs- mässigkeit des Zusammenwirkens der Motoren präformirt ist, so wird es gestattet sein, einen inneren Zusammenhang der angeführ- ten Erscheinungen anzunehmen. Ebenso wird man in diesen mehr oder weniger doppelten Innervationsheerden niedere, sich mehr und mehr an den Rückenmarkstypus anlehnende Organisationen suchen dürfen. — Meine Absicht war ferner, den Innervationsbezirk jedes einzel- nen Körpertheils in jeder einzelnen Hemisphäre festzustellen. Ich machte deshalb Versuche an curarisirten Hunden, denen vor der Vergiftung ein Haupt-Arterienstamm verschlossen war. Leider war in wenigen Minuten die fragliche Extremität durch collaterale Ver- 1) Vgl. auch die Lähmungsversuche Nothnagels. Experimentelle Unter- suchungen über die Functionen des Gehirns. Virchow's Archiv. Bd. 57. 2) Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Bd. III. Aus einem Citat Ferrier's ersehe ich zu meiner Freude, dass Dr. Broadbent auf anderem "Wege als ich zu ähnlichen Schlussfolgorungen gekommen ist. Med. chir. Review. April 1866. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 51 bindungen mit vergiftet, so dass diese Bemühungen vor der Hand scheiterten. Denn wenn man die anderen Körpertheile von der Reiz- wirkung nicht ausschliesst, so bereiten die in ihnen entstehenden Mus- kelzusammenziehungen der Beobachtung allerlei Schwierigkeiten. — Nachträglicher Zusatz: Fast sämmtliche dieser zuletzt an- geführten Versuche wurden mit Unterbindung der rechten Subclavia unmittelbar an der Theilungsstelle der Ahonyma begonnen, nach- dem die Trachea bereits vorher freigelegt worden war. Wenn nun auch die Zeit bis zur Mitvergiftung der rechten Vorderextremität für die Erreichung des eigentlichen Versuchszweckes zu kurz war, so konnten doch einige anderweite, der Erwähnung werthe Beob- achtungen gemacht werden. Zunächst war das Aussehen des freigelegten Gehirns höchst auffallend. Sowohl die Pia als die Hirnsubstanz erschienen absolut blass, weiss; die Gefässe der Pia waren stark collabirt, enthielten sehr wenig Blut und zwar war dessen Farbe sowohl in den Venen, als in den Arterien mehr als hellroth geworden, eigentlich richtiger als rosa zu bezeichnen. Bei hinreichend starker Vergiftung ging die Erregbarkeit des Gehirns selbst schnell verloren, schneller als die der intramus- culären Nervenendigungen der rechten Vorderextremität. Der Erreg- barkeitsverlust schritt in centrifugaler Richtung, fort. Wenn nämlich Reizung der Rinde mit beliebig starken Strömen keine Zuckungen in der rechten Vorderextremität mehr auslöste, erhielt man solche noch durch Reizung des Linsenkerns und des Corpus striatum mit galvanischen Strömen, während der Inductionsstrom gelegentlich auch schon den Dienst versagte. Endlich benutzte ich diese Gelegenheit um eine sehr interessante Angabe von Paul Bert1) zu prüfen. Bert hatte an eine*m curari- sirten Hunde, dessen Leben er 10 Stunden lang unterhielt, gefunden, dass während dieser ganzen Zeit durch Reizung, nicht nur der sen- siblen Spinalnerven (Ischiadicus, Medianus) sondern auch des Infra- orbitalis Contractionen der^ Harnblase auszulösen waren, so 1) Observations faites sur un chien curare. Arch. de Physiolog. Bd. II. (1869) 650-51. 4* 52 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. * dass sich bei jeder Reizung eine geringe Menge Urin entleerte. Dem entsprechend konnte Budge1) durch directe Reizung des Rücken- marks und des Hirnstammes bis hinauf zu den Hirnschenkeln ähn- liche, übrigens sehr eingehend studirte Phänomene produciren. Da die reflectorische Urinentleerung von Bert nur an einem Thiere ge- prüft war, so untersuchte ich nebenher einige Hunde auf diesen Punkt, und fand in der That Bert's Angaben vollständig richtig. Während Reizung der Nervenstämme an den nicht aus dem Kreislaufe aus- geschlossenen Extremitäten bei drei Hunden nicht mit Zuckungen der abhängigen Muskeln beantwortet wurde, entleerte sich jedesmal etwas Urin. Derselbe Erfolg trat ein bei Reizung der Schwimm- häute, der Bauchhaut, der Gesichtshaut, des Infraorbitalis, nicht aber der Conjunctiva. Bei einem dieser drei Hunde erfolgte übrigens auch etwas Kothentleerung. Da bei dem Stande der Vergiftung von einer Wirkung der Bauchpresse nicht die Rede war, so ist diese reflec- torische Defäcation wohl auf peristaltische Bewegungen zu beziehen. Meinen anderweitigen Untersuchungen lag diese Frage aber zu fern, um eine weitere Verfolgung zu rechtfertigen. 6. Reflexionen. Fechner sagt irgendwo: „Die Sicherstellung, Fruchtbarkeit und Tiefe einer allgemeinen Ansicht hängt überhaupt nicht am All- gemeinen, sondern am Elementaren. Entsprechend wird es gelten, Elementargesetze zwischen Körper und Geisteswelt zu finden, um statt einer allgemeinen Ansicht eine haltbare und entwickelte Lehre davon zu gewinnen; jene aber werden hier wie dort nur auf elementare Thatsachen begründet werden können." Damit sind die Gründe vollkommen angegeben, welche mich abhielten, schon jetzt Folgerungen von grösserer Tragweite aus den von mir über Verän- derung der Reaction angestellten und oben beschriebenen Versuchen zu ziehen, obschon ich glaube, dass gerade sie einen Theil, aber allerdings nur einen Theil der elementaren Thatsachen enthalten, die für eins jener Elementargesetze erfordert werden. Speculationen über Gehirn- und Geistesthätigkeiten sind mit Recht in so grossen 1) Pflueger's Archiv 1869. S. 511 ff. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 53 Misscredit gekommen, dass man in der That auch mit einem Ueber- maass von Vorsicht noch richtig handeln würde. Wenn wir uns nun von Anfang an trotz der Versuchung, welche nicht nur in der Materie an und für sich, sondern auch in der Natur der von uns gefundenen überraschenden Thatsachen lag, in den vorsichtigsten Ausdrücken bewegten, und fern von Ver- allgemeinerungen hielten, so hofften wir, dass dadurch nach keiner von beiden Seiten hin Anlass zu irrthümlichen Auffassungen würde gegeben werden. Im Gegentheil setzten wir voraus, dass das von uns eingeschlagene Verfahren von den nach uns Arbeitenden, wie es gemeint war, aufgefasst und als zweckmässig adoptirt werden würde. Hätten wir es für nützlich gehalten Consequenzen zu ziehen, so würde uns das um Vieles leichter geworden sein, als das Aufsuchen der bezüglichen Thatsachen. Um so weniger erwarteten wir, die un- mittelbar aus den Versuchen resultirenden Folgerungen angefochten zu sehen. Diese Hoffnungen sind nicht überall in Erfüllung gegan- gen, so dass es nöthig wird, den früher gefundenen Thatsachen so- wohl als den neu gefundenen einige Erläuterungen hinzuzufügen. — Wir sind in den vorgetragenen Studien sehr wesentlichen Diffe- renzen zwischen der centralen und peripheren motorischen Reaction begegnet. Die beiden Pole wirken hier ganz und gar anders wie dort, und ebenso ist, wie ich hier wiederhole, der Verlauf der Zuckungen ein anderer. Sie sind lang hingezogen, etwa wie die eines dem Nerveneinflusse entzogenen Muskels. Wir hatten schon früher vermieden, eine bestimmte Meinung darüber auszusprechen, ob wir Zellen oder Fasern, Endstationen oder Zwischenstationen der psychomotorischen Kette reizten, und wir enthalten uns dessen noch jetzt. Dagegen hatten wir nachgewiesen, dass der Reiz bekannte re- flectorische Bahnen nicht beschritte. Wenn nun Jemand den Schluss ziehen wollte, die ursprünglich gereizten Theile seien wegen jener Differenzen keine centralen Ausbreitungen der motorischen Ner- ven, so ist es klar, dass ihm zu einem solchen Schlüsse jede Basis fehlen würde. Denn es ist durch nichts erwiesen, dass centrale Fasern oder wenn man will Zellen, die im Zusammenhange mit peripheren stehen, ebenso reagiren müssen, wie diese. Es ist im Gegentheil nach Allem, was wir wissen, wahrscheinlich, dass sie 54 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. anders reagiren. Endlich haben die geschilderten Vorgänge über- haupt keine Analogie in der Peripherie. Man wird sich also zu- nächst wohl mit der Annahme begnügen müssen, dass ihre Besonder- heit auf besonderen Eigenschaften des Centralorgans beruht. — Das ätherisirte Gehirn zeigt ferner eine gewisse oberflächliche Aehnlichkeit in seinem Verhalten gegen elektrische und gegen Re- flexreize, während periphere motorische Nerven durch die Einverlei- bung des Aethers bekanntlich nicht afficirt werden. Wenn man nun deshalb annehmen wollte, der Reizeffect käme auf dem Wege eines unbekannten hypothetischen Reflexbogens zu Stande, so wäre das nicht minder falsch, selbst wenn vollkommen gleiches Verhalten des ätherisirten Gehirns gegen den elektrischen und den Reflexreiz bestände, was keineswegs der Fall ist, wie ich oben ausführlich nachgewiesen habe. Das Aufhören der Reflexbewegung bedeutet einfach Ausfallen des- jenigen centralen Mechanismus, dessen der äussere Reiz zur Ueber- tragung bedarf. Ein ähnlicher Sinn, nur für ein anderes Organ, ist dem Aufhören der elektrischen Erregbarkeit der Centren unterzulegen. Nun sehen wir, dass die einzelnen Centralapparate durch die ver- schiedenen Narkotica selten sämmtlich gleichzeitig oder in gleichem Grade, sondern in den verschiedensten Gruppirungen ausser Thätig- keit gesetzt^ werden. Das Athmungscentrum z. B. functionirt in vielen Fällen bis zuletzt. In anderen Fällen wird es dagegen gleich zu Anfang afficirt, wie im Menschen bei Verunreinigung des Chloro- forms. An Hunden zumal ist Chloroformtod gleich bei Beginn der In- halation sehr gewöhnlich. Grade die Centralapparate der bewussten, willkürlichen Bewegung pflegen aber bei der Chloroformirung und Aetherisirung schon vor den Reflexapparaten ihre Function einzu- stellen. Es würde also schon deshalb Nichts bewiesen sein, wenn schliesslich beide auch gegen den elektrischen Reiz gleichmässig un- empfindlich gefunden würden. Nun habe ich aber nachgewiesen, dass die Grosshirncentra schwerer und ungleichmässiger, jedenfalls also in anderer Weise unempfindlich werden, als die eigentlichen Reflexcentra, soweit man überhaupt die angewendeten Reizmethoden nebeneinander stellen kann. Alles in Allem bedeuten also die vorhandenen Er- scheinungen nach der einen wie nach der anderen Seite hin nichts Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 55 Anderes als zeitweise Eliminirung einer Anzahl von Centralapparaten, die wir selbst durch das Experiment nur höchst unvollkommen ab- grenzen können. Damit glaube ich hinreichend bewiesen zu haben, dass man vorläufig und bis neue unzweideutige Thatsachen beige- bracht sein werden, mit der Deutung vorsichtiger Weise nicht weiter gehen kann, als wir gegangen sind, während die Mitwirkung von reflectorischen Vorgängen schon durch das, was wir wissen, aus- geschlossen scheint. — In unserer mehrfach citirten Abhandlung') hatten wir die Re- sultate zweier an Hunden ausgeführten, streng localisirten Exstir- pationsversuche beschrieben. Die Verletzung war in dem von uns sogenannten Centrum für die rechte Vorderextremität angebracht worden. Der Erfolg war, dass die Thiere die genannte Extremität zwar noch gebrauchten, dass sie dieselbe aber unzweckmässig auf- setzten und, wie sich aus allerlei Versuchen schliessen Hess, nur noch ein mangelhaftes Bewusstsein von ihren Zuständen besassen. Ich selbst habe diese Versuche bereits im Jahre 1870 mit ähnlichem Erfolge vervielfältigt und variirt. Nothnagel2) hat in neuester Zeit von einer gleichen Idee ausgehend, aber nach einer anderen Methode, fast das gesammte Grosshirn localisirten Verletzungen unterworfen und ist damit zu einer Reihe interessanter Resultate gelangt. In der ersten Abthei- lung seiner Arbeit beschreibt er nun auch die Erfolge von Läsionen der von uns gewählten Region. Ich constatire mit Freuden, dass die Schilderung Nothnagel^ der unsrigen auf das Haar gleicht. Die einzigen scheinbaren Differenzen bestehen darin, dass die von uns hervorgebrachten Krankheitssymptome länger anhielten, und dass Nothnagel andererseits auch die gleichnamige Hinterextremität mit betroffen fand. Der erste Punkt erklärt sich einfach aus der in Folge der Trepanation bei uns grösseren Erheblichkeit der Ver- letzung. Mitbetheiligung der hinteren Extremität habe ich aller- dings ebenfalls, indessen nicht constant und sehr vorübergehend be- obachtet. Wenn man die von mir in der vorliegenden Abhandlung 1) S. 29. 30. 2) A. a. 0. 56 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. S. 48 angeführten Thatsachen berücksichtigt, so wird man das be- greiflich finden. Ungeachtet dieser so gut wie vollständigen Uebereinstimmung der Versuchsergebnisse und ungeachtet dessen, dass Nothnagel unsere Auffassung des gesetzten pathologischen Zustandes vollkommen adoptirt, bestehen aber Meinungsverschiedenheiten in der Deutung zwischen Nothnagel und uns, die auf Missverständnissen beruhen und die ich lebhaft bedauere. Wir hatten nicht ohne Absicht gerade an den Schluss unserer Arbeit folgenden Satz gestellt: „Es geht ferner aus der Summe aller unserer Versuche hervor, dass keineswegs wie Flourens und die Meisten nach ihm meinten, die Seele eine Art Gesammtfunction der Gesammtheit des Grosshirns ist, deren Ausdruck man wohl im Ganzen aber nicht in seinen einzelnen Theilen durch mechanische Mittel aufzuheben vermag, sondern dass vielmehr sicher ein- zelne seelische Functionen, wahrscheinlich alle, zu ihrem Eintritt in die Materie oder zur Entstehung aus derselben auf circumscripte Centra der Grosshirnrinde angewiesen sind." Denn in der That folgt die Wahrheit dieses Satzes mit aller wünschenswerthen logischen Schärfe aus unseren Versuchen und wir betrachteten diese Wahrheit als die weithvollste Errungenschaft unserer Arbeit. Wenn Reizung bestimmter Stellen bestimmte Muskeln in Be- wegung setzt, und Zerstörung dieser Stellen die Innervation der- selben Muskeln alterirt, wenn Reizung und Zerstörung anderer Stellen ganz und gar keinen Einfluss auf die Muskelinnervation ausübt, so scheint mir das hinreichend beweisend zu sein für den Satz, dass die einzelnen Theile des Grosshirns nicht gleichwerthig sind; und diesen Satz wollten wir beweisen. Nothnagel wendet sich hingegen wieder der alten Ansicht zu, obwohl seine Versuche gerade unsere Ansicht durch Vervollständigung des Beweismaterials unterstützen. Er kommt zu dem Schlüsse, ,dass eine strenge Localisation der geistigen Functionen auf bestimmte Centren der Grosshirnrinde nicht vorhanden ist." Ich setze den Fall, Nothnagel hätte neue Beweise für diesen Satz beigebracht, so würde ich ihm dennoch nicht zustimmen Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 57 können, sondern irgendwo einen Irrthum vermuthen und nicht ruhen, bis ich denselben gefunden hätte. Denn die Ansicht Flourens' ist a priori unmöglich, wenn unsere sonstigen Anschauungen von den Functionen dieser und besser bekannter Theile des Nervensystems richtig sein sollen. Sie setzt voraus, dass wir heute Ganglien und Fasermassen zum Gehen gebrauchen können, die uns gestern nicht zum Gehen, sondern vielleicht zum Hören oder Riechen, jedenfalls zu anderen Zwecken, gedient haben. Sie setzt voraus, dass die cen- tralen Endorgane eines Nerven, z. B. des Hörnerven, plötzlich zum Theil ihrer ursprünglichen Function entfremdet und zu etwas An- derem, z. B. zur Muskelbewegung, verwendet werden könnten. Und was würde inzwischen aus dem Hören? Oder aber, um uns eines ganz abstracten Ausdruckes zu bedienen, sie setzt voraus, dass das materielle Substrat für sämmtliche nach Innen und sämmtliche nach Aussen gerichtete Functionen, sowie für etwaige Zwischenfunctionen ein einheitliches sei, obwohl schon die morphologische Betrachtung ' lehrte, dass jenes Substrat als ein Complex von Endorganen peri- pherer Mechanismen verschiedenen Werthes aufzufassen ist. Indem wir den exacten Beweis führten, dass die Vorstellung, die man sich von vornherein bilden muss, der Wirklichkeit ent- spricht, glauben wir einen Schritt vorwärts gethan zu haben. Durch seine Versuche thut Nothnagel diesen Schritt mit uns, durch seinen Schluss würde er ihn rückwärts thun, wenn er diesen be- wiesen oder ihn in dem Sinne Flourens' gezogen hätte. Der einzige von Nothnagel erbrachte Beweis besteht aber in dem mir freilich schon damals bekannten Umstände, dass die ge- setzten Krankheitssymptome sich allmählig verlieren.') Daraus lässt sich aber nicht das Geringste schliessen, denn der sich eröffnenden Möglichkeiten sind zu viele. Eine sehr einfache Annahme ist z. B. die, dass man durch den Eingriff nicht das ganze Centrum (nehmen wir an, es sei ein Centrum), sondern nur einen Theil zerstört hat, und dass der Rest nach geschehener Heilung zur Ausfüllung der Function hinreicht. Wenn man in Rechnung zieht, dass Nothnagel 1) S. auch die Abhandlung: Ueber die Auffassung einiger Anomalien der Muskelinnervation. I. 58 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. durch kleinere Läsionen dreitägige, und wir durch etwas grössere Läsionen achtundzwanzig Tage und länger dauernde Störungen pro- ducirten, so drängt sich dieser Gedanke allerdings um so mehr auf, als eben durch den Eingriff zweifellos die Nachbarregionen des Heer- des in geringerem, also leichter heilbarem Grade alterirt werden. Dennoch bin ich weit entfernt, ihn für den einzig richtigen aus- zugeben. Ferner scheint Nothnagel das Flourens'sehe Werk nicht im Original auf diesen Punkt hin eingesehen zu haben, denn ich glaube doch nicht, dass er dasselbe meint wie Flourens. Das Miss- verständniss ist wahrscheinlich aus einer verschiedenen Auffassung des Wortes „ circumscript" hervorgegangen. Wir haben dasselbe im weitesten Sinne gefasst1), während Nothnagel ihm einen sehr engen Sinn unterlegt. Wir haben nicht daran gedacht, in dieser Beziehung irgend welche Grenzen für irgend ein Centrum anzugeben, noch die Möglichkeit zu behaupten oder auszuschliessen, dass ein Solches doppelt vorkäme, sondern wir haben nur den Satz aufstellen wollen und wir erhalten ihn aufrecht, dass die einzelnen in Frage stehenden Hirnfunctionen sich bestimmter, irgendwo aber wohlbe- grenzter Hirnorgane als centraler Endorgane peripherer Nerven- ausbreitungen bedienen, sowie dass diese Organe nur für jene und keine anderen Functionen tauglich sind und bleiben. Auf eine ähnliche Weise erledigt sich auch der Zweifel Noth- nagels, ob wir eine directe motorische Lähmung annehmen oder nicht? Wir hatten nämlich nach einer detaillirten Beschreibung der vorhandenen Bewegungsstörung gesagt: „Das Thier hatte die Mög- lichkeit, die Vorderextremität zu bewegen nur unvollkommen ver- loren." Allerdings war ihm die Möglichkeit sein Bein normal zu bewegen aus den angeführten Gründen verloren gegangen. Ob in- 1) Man vergleiche dazu den Text unserer Abhandlung an anderen Stellen, z. B. S. 26. Der mit allem Vorbehalt gebrauchte Ausdruck „Centrum" hat nur zur Bezeichnung der erregbarsten Stellen gedient. Dass die zwischen diesen Centren liegenden weniger erregbaren Theile ebenfalls in Beziehung zur Mus- kelbewegung ständen, haben wir zwar als selbstverständlich angenommen (S. 25), haben aber aus Mangel an einem directen Beweise nicht ausführlicher darüber gehandelt. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 59 dessen die grobe Kraft eine Einbusse erlitten hatte, darüber haben wir uns überhaupt nicht auslassen wollen. Denn es schien uns zweifelhaft und ohne weitergehende Deductionen kaum zu entscheiden, ob die nachweisbare und von uns angeführte geringe Schwächung einzelner Functionen lediglich von der Beeinträchtigung der Vor- stellungen über die Zustände dieses Beines abhinge, oder ein selbst- ständiges Symptom sei. Freilich hatten wir hieran einen Satz geknüpft, der mit dem, was von uns auf Seite 6 der Abhandlung recapitulirend über die centralen Stätten der Muskelbewegung gesagt war1) wohl einen Schluss auf unsere Ansicht über den Zusammenhang der Erschei- nungen gestattete, und wie mir scheint unter einer bestimmten Voraussetzung auch eine bis zu einer gewissen Grenze unanfecht- bare Erklärung in sich schliesst. Dieser Satz lautet: „Es bestand noch irgend eine motorische Leitung von der Seele zum Muskel, während in der Leitung vom Muskel zur Seele irgendwo eine Unter- brechung vorhanden war. Möglicherweise betraf diese Unterbrechung die Endstation der hypothetischen Bahn für den Muskelsinn." Die erwähnte Voraussetzung war für uns damals aber noch nicht hinreichend durch den Versuch erwiesen, sie besteht in dem exacten und durch den Inhalt der vorliegenden Abhandlung ge- lieferten Nachweise, dass die Erregung jener basalen Mechanismen auch von der gleichnamigen Hirnhälfte aus geschehen könne. In Ermangelung dieses Nachweises gebot die Vorsicht unserer Meinung jene abstracte Form zu geben. Und dennoch bedauere ich noch, damals das Wort „ Muskelsinn" gebraucht zu haben, insofern das- selbe von jeher zu allerlei Missverständnissen Veranlassung gegeben hat. Nothnagel hat indessen in weit bestimmterer Form die fraglichen Symptome als Störungen des „Muskelsinnes" bezeichnet. Dies bestimmt mich, meine eigene Auffassung derselben näher zu präcisiren, obwohl ich aus der bisher inne gehaltenen Reserve nur 1) In den meisten Theilen des Hirnstammes, dann auch hinab bis in das Rückenmark giebt es eine Anzahl vorgebildeter Mechanismen, die einer nor- malen Erregung in ihrem Ganzen auf zwei Bahnen fähig sind. Die Eine verläuft von der Peripherie aus — die Bahn des Reflexes; die Andere strahlt vom Centrum her ein — die Bahn des Willens, der seelischen Impulse. 60 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. ungern, selbst um wenige Schritte heraustrete. Denn in jede Rech- nung mit diesen uns mehr und mehr bekannt werdenden Factoren, drängt sich eine unbekannte und kaum zu eliminirende Grösse — der Wille — ein. Ihm gegenüber stehen wir, wie zu den Elementar- kräften, wir kennen nur seine Erscheinungsweisen, nicht sein Wesen und seine innere Begrenzung. Wir hatten den Zustand unserer Versuchsthiere folgendermaassen charakterisirt: „sie hatten offenbar nur ein mangelhaftes Bewusst- sein von den Zuständen dieses Gliedes, die Fähigkeit sich voll- kommene Vorstellungen über dasselbe zu bilden, war ihnen ab- handen gekommen," und wir konnten dies mit Sicherheit schliessen aus der Analyse der Bewegungsstörungen, die nach Zertrümmerung derjenigen Rindenstelle entstanden, deren Reizung die nun gestörten Muskeln in Bewegung setzte. Die nun zu beantwortende Frage lässt sich sehr einfach folgendermaassen präcisiren: Ist das aus- geschlossene Centrum dasjenige Organ, welches die frag- liche Muskelbewegung allein beherrscht, oder giebt es noch neben dem allgemeinen Willensorgane — ein solches vorausgesetzt — ein anderes centrales motorisches Or- gan innerhalb derselben Auslösungskette? Wir können, indem wir uns übrigens der äussersten Kürze1) befleissigen, auf bekannte Erfahrungen über massige Bewegungen mit nicht ermüdeten Muskeln zurückgehen. Man weiss, dass die durch die Muskelaction in unserem Bewusstsein entworfenen Bewegungs- bilder ausserordentlich scharf sind. Ein geschickter Maler würde z. B. eine von ihm selbst bei geschlossenen Augen eingenommene Positur genau wiederzugeben im Stande sein. Dennoch weiss das Bewusstsein von den bewegenden Factoren Nichts; auch die durch unmittelbare Anschauung oder anderweites Studium gewonnenen Vor- stellungen fallen so sehr in ein anderes Gebiet hinein, dass sie zur Erkennung der jedesmal in der Peripherie wirkenden Bewegungs- kräfte wenig genug beitragen. Diese sind für die einzelnen Bewe- 1) Vgl. hierzu meine Abhandlungen: Ueber die Auffassung einiger Ano- malien der Muskelinnervation. I. und: Ueber die beim Galvanisiren des Kopfes u. s. w. Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. 61 gungsformen bisher noch nicht einmal hinreichend bekannt, und müssen jedesmal erst durch Induction gefunden werden. Dazu hilft z. B. das Zufühlen mit dem Finger weit mehr, als die noch so oft- malige Wiederholung der Bewegung. Gleichwohl ist es klar, dass sehr genaue Vorstellungen über die Zustände der Muskeln entstehen müssen — das lehren uns eben jene genauen Bewegungsbilder, — und gleicherweise ist es klar, dass diese Bewegungsbilder vorwiegend auf die Perception der Mus- kelzustände weniger also auf Gelenke, Haut u. dgl. zurückzuführen sind — das lehren uns die bekannten Bewegungstäuschungen bei den Augenmuskellähmungen. Wenn nun unsere Vorstellungen über die Muskelzustände des eigenen Körpers dennoch nicht die Schwelle des klaren Bewusst- seins überschreiten, und uns hierdurch den Einblick in das wahre Wesen der Vorgänge gestatten, so ist dies auf ein allgemein gültiges Gesetz zurückzuführen. Wir vermögen ganz allgemein von Innen heraus die Zustände der einzelnen Organe nur insoweit zu erkennen, als es für die Benutzung derselben zur Erhaltung des gleichmässigen Flusses der von ihnen abhängenden Reihe von Lebenserscheinungen erforderlich und ausreichend ist. Innerhalb der damit gezogenen Grenze bildet aber die Ueber- mittlung von solchen grossentheils unbewussten Vorstellungen über jede einzelne Bewegungsphase eine der nothwendigen Vorbedin- gungen für den normalen Ablauf der ihr folgenden Phase, und man hat hiernach, wenn man auch die scheinbare Muskelruhe als eine Bewegungsphase auffasst, ganz allgemein in den Muskelzuständen eine der verschiedenen Ursachen zu erkennen, welche den Organis- mus zu den willkürlichen Bewegungen veranlassen, und diese selbst reguliren. Nehmen wir an, es gäbe keine anderen Sinnesreize und Wahrnehmungen, und wir hätten es vielmehr mit einer einfachen, mit dem Impulse versehenen Bewegungsmaschine der gedachten Art zu thun, so können wir uns auf Grund des eben Entwickelten sehr wohl vorstellen, dass eine solche zur Ausführung zweckmässiger Be- wegungen ausreicht. Da wir nun in den von uns bezeichneten Rindentheilen ein Or- gan erkennen, welches mit seiner Function den geschilderten Theil 62 Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns. des psychischen Vorganges deckt, so sehe ich ich nicht die Not- wendigkeit, dass der Wille als Solcher noch ein besonderes und anderes motorisches Organ in sich schliesse. Wenn in Folge des Zusammenwirkens einer Anzahl neu anlangender oder aufbewahrter Sinneseindrücke die Forderung einer Bewegung entsteht, so gewinnt diese Forderung niemals ihre Gestalt etwa in dem Antriebe: inner- vire Muskel a, &, c, damit Arm n den Winkel x mache, sondern es heisst „nimm", „schreibe", „sprich" u. s. w. Die Organe, welche wir nun kennen, scheinen mir zu genügen, um das normale Von- stattengehen der so einmal in Fluss gebrachten Bewegung im All- gemeinen zu begreifen. Im Einzelnen bestehen freilich noch Unklar- heiten genug. Brücke hat vor Kurzem die von uns erzielten Bewegungs- störungen in bündiger Weise der Aphasie an die Seite gestellt. Wenn man den Ablauf des Redens und seine Störung durch jene einzige noch verfolgbare Rindenerkrankung sich vergegenwärtigen will, so braucht man in der That nur die entsprechenden Begriffe in die eben vorgetragene Erwägung einzufügen. Die in der vorstehenden Arbeit- beschriebenen Untersuchungen wurden zum grössten Theile in dem Zimmer der Assistenten des anatomischen Instituts zu Berlin angestellt. Ich sage diesen Herren, insbesondere Hrn. Fritsch, sowie dem Dirigenten des Instituts Hrn. Geh. Rath Reichert für die mir auf lange Zeit bereitwillig gewährte Ueberlassung dieses Arbeitsraumes meinen verbindlichen Dank. Ebenso kann ich nicht unterlassen Herrn Dr. Fischer, der- zeit klinischem Assistenten in Erlangen und Hrn. stud. Prawitz, welche theils im Winter-, theils im Sommersemester 1872-73 diesen Untersuchungen mit grosser Aufopferung an Zeit und Mühe assistir- ten, auch an dieser Stelle meinen Dank auszusprechen. III. Kritische und experimentelle Untersuchungen zur Physiologie des Grosshirns im Anschluss an die Untersuchungen des Herrn Professor D. Ferrier in London. Vorbemerkungen. Anfangs Oktober 1873 ging mir eine Abhandlung von D. Fer- rier1) in London zu, welche grösstentheils auf eine Wiederholung der von Fritsch und mir veröffentlichten Versuche2) basirt ist. Ferrier äussert sich über unsere Arbeit in folgenden Worten: „— — sie versuchten, die Centren für solche Muskelbewegungen auf gewisse bestimmte Punkte zu localisiren. Ihre Versuche wurden nach dieser Richtung nicht grade weit ausgedehnt, noch setzen sie, wie ich denke, die Natur und die Bedeutung des Resultates, zu dem sie gelangten klar auseinander.-----— Inductionsstrome wandten sie in irgend einer Ausdehnung nicht an, und ihre durch diese Methode erzielten Resultate ergaben ihnen mit Rücksicht auf die Localisation der Functionen nichts grade Bestimmtes oder Genügen- des. -----Bei meinen eigenen Versuchen habe ich die Faradisation 1) Experimental Researches in cerebral physiology and pathology by David Ferrier etc. etc. etc. The West Riding lunatic asylum Medical Re- ports. Vol. III. 1873. 2) S. 1—31. 64 Kritische und experimentelle Untersuchungen ausschliesslich angewendet, und es mit dieser Methode möglich ge- funden, sowohl locaHsirte Reizung verschiedener Hirntheile mit der äussersten Exactheit hervorzubringen, als auch allgemeine Reizung der ganzen Hemisphäre herbeizuführen."1) Ein Leser dem unsere Arbeit nicht im Original bekannt ist, muss nach diesem Referate Ferrier's den Eindruck mit hinwegnehmen, dass wir nur generell die Erregbarkeit des Grosshirns durch Bestim- mung des einen oder des anderen Centrums nachgewiesen hätten, und zu genauerer Localisation, sowie zu anderweiten Resultaten nicht ge- kommen wären, weil wir theils den Inductionsstrom nicht durch- gehends anwendeten, theils die Wichtigkeit unserer Entdeckung nicht erkannten.2) Es wäre erst Ferrier vorbehalten gewesen, durch die Anwendung inducirter Ströme und grösserer Lucidität diese That- sachen für die Physiologie und Pathologie nutzbar zu machen. In wie weit der englische Autor durch Beibringung neuer und zweifelsfreier Thatsachen seinerseits die Sache ge- fördert hat, in wie weit also auch die Ansprüche gerechtfertigt sind, mit denen er seine Arbeit unseren Bemühungen entgegensetzt, das werden wir auf den folgenden Blättern untersuchen. 1) Their researches in this direction were not carried very far, nor do they, I think, clearly define the nature and signification of the results at which they arrived. They adduce ample evidence for regarding the movements that took place as dependent on Irritation of the hemispheres themselves, and they also observed that irritation proceeded principally, if not exclusively, from the anode. Induction currents they did not employ to any extent, and their results by this method did not give them anything very definite or satisfactory as re- gards localisation of function. In my own experiments I have employed fara- disation exclusively, and have found it possible by this method to produce localised irritation of various parts of the brain with the utmost exactitude, as well as to induce diffused irritation of the whole of the hemispheres A a. 0. S. 32. 2) Inzwischen hat sich Prof. Ferrier in einem in der British Medical Association gehaltenem Vortrage in dieser Beziehung noch deutlicher aus- gedrückt: Er sagt dort ausdrücklich: Wir hätten wohl die Bedeutung der * von uns gefundenen Thatsachen nicht recht gewürdigt, hätten auch unsere Untersuchungen nicht fortgesetzt. Es hat uns zwar sehr leid gethan, dass Professor Ferrier unsere Zurückhaltung bei der praktischen Ausbeutung der von uns gefundenen Thatsachen für die Pathologie so falsch auffasste. Doch wurden wir beim Durchlesen jenes Vortrages wieder beruhigt. Wir sahen dort, dass der Gedankengang, mit dem wir unsere Entdeckungen einleiteten zur Physiologie des Grosshirns. 65 Zuvor aber muss ich darauf aufmerksam machen, dass es für Ferrier um so mehr ein Leichtes gewesen wäre, sich von Fort- setzungen jener Arbeit mindestens durch Einsehen des nächsten Ban- des des Archivs für Anatomie und Physiologie Kenntniss zu ver- schaffen, als in der von ihm citirten Arbeit1) eine Fortsetzung be- reits angekündigt war. Dennoch will ich zu seiner Entschuldigung annehmen, dass er diese Kenntniss nicht gehabt hat. Anders steht es mit einer Anzahl von Ergebnissen, welche bereits in jener ersten Arbeit ausführlich mitgetheilt waren. Ferrier hat sich dieselben ohne Weiteres angeeignet, indem er unserer Untersuchungen mit keinem Worte erwähnt, obwohl er dieselben kannte. Wir hatten nachgewiesen, dass durch Tetanisiren des Hirns Nachbewegungen und epileptiforme Anfälle entstehen können.2) Ferrier behandelt diesen Gegenstand höchst ausführlich, jedoch so als rühre diese Ent- deckung von ihm her. Aehnlich verhält es sich mit dem Nach- weise, dass der Blutverlust die Erregbarkeit des Hirns aufhebt,3) endlich mit Allem, was nicht in dem englischen Citat auf S. 64 erwähnt ist. Ueberhaupt werden unsere Untersuchungen von Fer- rier nur noch zweimal angeführt: erstens bemerkt er gelegentlich:4) wir hätten durch unsere Exstirpationsversuche Lähmungen erzeugt, was wir keineswegs behauptet hatten; zweitens beruft er sich auf unsere Angaben über das Centrum für die Nackenmuskeln, insofern er selbst ein Solches nur bei einem Versuche auffinden konnte. Den- grade um ihre Bedeutung in das rechte Licht zu setzen, den Beifall des Hrn. Prof. Ferrier in dem Grade gefunden hat, dass er für seine eigene Ein- leitung einen Besseren nicht glaubte verwenden zu sollen. S. The Times Sept. 22.: About three years ago two German physiologists, Fritsch and Hitzig, by passing galvanic currents through parts of the brains of dogs obtained various movements of the limbs, such as adduction, flexion and extension. They thus discovered an important method of research, but they did not pursue their experiments to the extent that they might have done and perhaps did not exactly appreciate the significance of the facts at which they had arrived. — Ich würde übrigens ein politisches Blatt nicht ci- tiren, wenn der Vortrag nicht offenbar stenographisch nachgeschrieben, und die betreffende Stelle wörtlich citirt wäre. 1) A. a. 0. S. 308. 2) S. 17. 3) S. 18. 19. 4) Expcrimeutal Researches etc. S. 77. Hitzig, Experimentelle Untersuchungen. 5 66 Kritische und experimentelle Untersuchungen noch kommt Ferrier vielfach zu anderen Resultaten rücksichtlich der Localisation der Centren und der Begrenzung der erregbaren Zone. Er führt aber in keinem einzigen Falle an, dass er mit uns übereinstimmt oder nicht übereinstimmt; noch controlirt er dort, wo er andere Angaben macht als wir, seine eigenen Befunde. Indem ich in meines Herrn Mitarbeiters und in meinem eigenen Namen auf das Entschiedenste gegen ein solches Verfahren prote- stire, bedauern wir von Hrn. Prof. Ferrier hiermit unser Eigen- thum zurückfordern zu müssen. A. Die Methode Ferrier's. Ferrier hat Versuche, die sich rücksichtlich der Methode den Unseren parallel setzen Hessen, wie wir sehen werden, überhaupt gar nicht angestellt. Reizversuche am Grosshirn des Hundes nach seiner Art nahm er aber im Ganzen zweimal vor. Der eiue von diesen zwei Versuchen ist vollständig durchgeführt, der Andere un- vollständig. Beide wurden von vielen epileptiformen Anfällen unter- brochen. Bei dem zweiten, unvollständig durchgeführten Versuche wurden die Effecte der Reizung von acht Punkten notirt. Sechs von diesen Reizversuchen gaben andere Resultate als die Parallelversuche der ersten Vivisection. Der Siebente gab beide Male kein Resultat, der Achte erzielte aber beide Mal Schluss des Auges.1) Da durch die eine Vivisection die linke und durch die andere Vivisection die rechte Hirnhälfte freigelegt war, so hält sich Ferrier auf Grund der an- 1) A. B. 1) Schluss des Auges. Drehung des Kopfes. 2) Geschrei. Drehung des Kopfes. 3) Beginn eines Anfalls dabei Drehung des Kopfes. Drehung des Kopfes. 4) Vacät. Erhebung des Lides. 5) Kein Reizeffect. Bewegung des Ohrs. 6) Kein Reizeffect. Bewegung des Ohrs. zur Physiologie des Grosshirns. 67 geführten Reizeffecte für berechtigt, vollkommene Symmetrie und Bestätigung des einen Versuches durch den anderen anzunehmen.1) Ich würde auf Grund dieses Beweismateriales die entgegengesetzen Schlüsse gezogen haben. Dies eine Beispiel würde genügen um zu zeigen, wie breit die experimentelle Basis ist, welche Ferrier für die Begründung seiner eigenen und die Erschütterung fremder Angaben genügt. Indessen ist sein Versuchsmaterial in diesem Theile der Abhandlung überall nicht grösser. Nur für das Studium des Grosshirns der Katze hat er drei Thiere geopfert, von denen zwei ebenfalls nicht vollständig untersucht wurden. Für seine Angaben über das Grosshirn des Kaninchens genügen ihm wiederum zwei Vivisectionen, und eine neue Behauptung von äusserster Tragweite gründet sich auf die Unter- suchung eines einzigen Meerschweinchens. Wäre Ferrier der Entdecker der von uns gefundenen That- sachen, so würde eine vorläufige Mittheilung auf Grund eines so dürftigen Materials immerhin ihr Bedenkliches gehabt haben, aber verzeihlich gewesen sein. Was soll man aber dazu sagen, nachdem unsere ausführliche Arbeit schon seit mehr als drei Jahren publi- cirt war? — Ferrier (und nach ihm bereits mehrere andere englische Au- toren) führen an, wir hätten den Inductionsstrom in irgend einer Ausdehnung nicht angewendet und übrigens mit demselben rück- sichtlich der Localisation der Functionen keine befriedigenden Re- sultate erzielt. Er selbst, fährt er fort, habe nur den Inductions- strom angewendet und mit demselben die Function der einzelnen Hirntheile mit der äussersten Exactheit localisiren können. Zunächst muss ich bemerken, dass von dem, was Ferrier uns sagen lässt, in der fraglichen Abhandlung auch nicht ein einziges Wort steht. (S. oben S. 16). Wir haben allerdings angeführt, dass wir den Inductionsstrom viel seltener als den galvanischen anwandten, und wir durften vor- aussetzen, dass die gewöhnlichen Leser des Archiv's die Gründe da- 1) Das übrigens selbstverständliche Vorhandensein symmetrischer An- ordnung dieser Centren hatten wir schon nachgewiesen. 5* 68 Kritische und experimentelle Untersuchungen für aus der hinterher folgenden Schilderung der dem Inductions- strome eigenthümlichen Reizeffecte sofort erkennen würden. Aber wenn wir ihn auch seltener als den galvanischen Strom anwendeten, seltener als Ferrier wandten wir ihn nicht an, und woher will dieser Autor überhaupt wissen, in welcher Ausdehnung wir uns dieses Reiz- mittels bedienten? Von der Unmöglichkeit mit demselben locaHsirte Reizeffecte hervorzubringen, haben wir nun ganz und gar nichts er- wähnt, sondern die Schilderung beginnt mit dem das Gegentheil be- sagenden Satze: „Häufig treten tonische Bewegungen der betreffen- den Muskelmassen ein, die erst nach längerer Zeit in ihrer Intensität nachlassen." In der That fanden wir den Inductionsstrom für die Controle und überhaupt als Hülfsmittel der Untersuchung ausser- ordentlich bequem; denn durch den Schliessungsschlag der Kette wird nur eine einzelne Zuckung ausgelöst, deren Auffassung die an- gespannteste Aufmerksamkeit verlangt, während der Muskeltetanus natürlich sehr leicht zu beobachten ist. Nichtsdestoweniger wird man sich für die eigentlich beweisenden Versuche doch des unbequemeren Kettenstromes bedienen müssen, wie ich ausführlich darlegen will. Wenn Ferrier aber wirklich die von uns nicht ausgesprochene, aber von ihm angeführte Ansicht aus unserer Abhandlung heraus- gelesen hätte, so lag ihm doch die Pflicht ob, erst einmal diese Ansicht durch vergleichende Versuche zu prüfen, ehe er sie ohne Weiteres bei Seite schob. Dann würden ihm vermuthlich selbst einige Bedenken gegen die Exactheit seiner bis dahin erzielten Localisations- effecte gekommen sein. — Wir hatten in der mehrfach angeführten Abhandlung rücksicht- lich der Methode, vermittelst deren wir unsere Centren localisirten, angegeben, dass wir zunächst die Stelle aufsuchten, welche bei der geringsten, überhaupt noch erregenden Stromstärke die stärkste Zuckung auslöste, und dann eine Stecknadel zwischen den beiden Elektroden in das Gehirn des noch lebenden Thieres einsenkten. Nachdem wir nachgewiesen hatten, dass auf stärkere Ströme nicht nur die von uns sogenannten Centren, sondern auch die zwischen ihnen liegenden Theile des Hirns mit einer motorischen Leistung antworteten, erschien jede andere Reizmethode als die, welche sich zur Physiologie des Grosshirns. 69 in der gedachten Weise der Stromstärke des Zuckungsminimums be- diente, des Zweckes und Interesses baar. Unsere und auch Fer- rier's ausgesprochene Absicht war ja zu localisiren. Aus den an- geführten Thatsachen geht aber ohne Weiteres hervor, dass bei Anwendung stärkerer Ströme tiefer gelegene, sowie oberflächliche Nachbartheile mit in den Bereich der wirksamen Reizung gezogen werden. Da man nun weiss, dass die Markstrahlung von Vorne nach Hinten zieht, und da wir insbesondere noch durch Einstechen isolirter Elektroden die Erregbarkeit dieser Markstrahlung nachge- wiesen hatten, so müsste sich jedem einsichtigen Experimentator sofort der Gedanke aufdrängen, dass die Reizeffecte stärkerer Ströme einfach durch die Bethätigung der nach den Ganglien ziehenden, vielleicht sogar der in derselben verlaufenden Faserung zu erklären seien. Selbstverständlich hat der Nachweis derartiger Leitungs- bahnen mit der Localisation centraler Zusammenfassungen nur dann etwas zu thun und überhaupt nur dann einen Sinn, wenn es ent- weder gelingt die Annäherung der Markstrahlung an die grauen Massen nachzuweisen, oder, was noch Wünschenswerther wäre, den ganzen Verlauf derselben zu verfolgen. Auf den letzteren Zweck liefen meine Versuche an curarisirten Thieren hinaus. Ueber diese Erwägungen hat Ferrier sich einfach hinweg- gesetzt. Er hat von der Anwendung der Stromstärke des Zuckungs- minimums überall abgesehen und einfach in der Mehrzahl seiner Versuche die secundäre Spirale der primären bei Anwendung eines Zinkkohlenelementes bis auf 8 Cm. genähert. Hierbei war der Strom so stark, dass er auf der Zunge „without great discomfort" zu er- tragen war. Wir hatten nachgewiesen, dass schon ein Strom, der auf der Zunge eben empfunden wird, zu Reizeffecten führen kann. Aber nicht zufrieden mit den so erzielten Bewegungen nähert Fer- rier die Spiralen bis auf 6, ja sogar bis auf 4 Cm., indem er das Ausbleiben der Zuckung bei der ursprünglich benutzten enormen Stromstärke in keinem Falle aus Mangel motorischer Elemente in den benachbarten Hirnpartieen, sondern sobald ihm ein stärkerer Strom auch nur in einem einzigen Falle Muskelleistungen ergiebt, auf Erschöpfung, auf Blutverlust oder andere Versuchsfehler schiebt. Er versäumt die Richtigkeit dieser Annahmen durch neue Versuche 70 Kritische und experimentelle Untersuchungen oder, was ja so einfach war, durch Controle an als irritabel be- kannten Feldern zu bestätigen. Natürlicherweise ist es sehr leicht auf diese Art allerlei Reizeffecte zu erzielen, indessen wird doch Nie- mand denselben irgend eine Wichtigkeit beimessen wollen, ehe sie nicht in etwas vorsichtigerer Weise verificirt worden sind. Ist die Anwendung so starker Ströme überhaupt schon bedenk- lich, so wird sie es doppelt, wenn es sich um Inductionsstrome handelt. Die hohe Spannung des Inductionsstromes lässt die Mög- lichkeit unipolarer Reizung, weiter Verbreitung wirksamer Schleifen durch die Hirnsubstanz selbst, und durch Vermittlung der Cerebro- spinalflüssigkeit zu. Man kann sich leicht überzeugen, dass die An- wesenheit einer Brücke von Flüssigkeit zwischen den auf dem Hinter- hirn ruhenden Elektroden und dem zurückgeschlagenen Temporaiis genügt, um entweder den genannten Muskel selbst, oder beliebige grosse Gruppen von Motoren in Bewegung zu setzen. Tupft man die Flüssigkeit fort, so verschwinden sämmtliche Reizeffecte. Ebenso leicht gelangen Schleifen zu der Dura und führen zu Reflexbewegungen aller erdenklichen Art. Ferrier hat indessen offenbar ohne jede Kenntniss der Gesetze der Stromvertheilung in nicht prismatischen feuchten Leitern gearbeitet; das beweisen insbesondere die von ihm zur Erregung epileptiformer Anfälle an der Katze angestellten Versuche. Die Spiralen waren bei diesen Versuchen auf 5 Cm. genähert. Bei einer von fünf Reizungen lag die ganze Hirnfläche, bei einer andern zwei Drittel derselben der Länge nach zwischen den Elektroden, bei den drei anderen Reiz- versuchen wurden die Elektroden in transversaler Richtung aufgesetzt, so jedoch, dass mindestens immer ein Sulcus zwischen denselben lag. Hieran schliesst Ferrier folgende Bemerkung: „Die Reizung war gänzlich auf die Oberfläche der Hemisphären begrenzt, da die Elek- troden einfach angelegt wurden, ohne irgend eine mechanische oder tiefere Läsion in irgend einem Falle zu verursachen."') Dies mag genügen, um die physikalische Vorbildung mit der Ferrier an so überaus difficile Versuche ging, darzulegen. 1) The irritation was entirely confined to the surface of the hemispheres, the electrodes being simply applied without causing mechanical or deep seatcd lesion in any case. A. a. 0. S. 39. zur Physiologie des Grosshirns. 71 Es bleibt mir noch übrig nachzuweisen, weshalb die Anwendung des Inductionsstroms als einziges Untersuchungsmittel zu verwerfen ist. Der Hauptgrund liegt in der a. a. 0. S. 17 hervorgehobenen Thatsache, dass die Stromstärke des Zuckungsminimums keine recht gleichmässigen Resultate giebt. Nimmt man dann stärkere Ströme, so setzt man sich den angeführten und anderen Fehlerquellen aus. Namentlich sind die epileptiformen Anfälle im höchsten Grade stö- rend. Während derselben quillt das Gehirn aus der Trepanations- wunde heraus und gewinnt ein glasiges Ansehn. Nachher ist seine Erregbarkeit enorm herabgesetzt, so dass auf längere Zeit nur Ströme, deren Verbreitungsbezirk durch die Hirnmassen gar nicht zu berech- nen ist, noch Zuckung auslösen. Macht man an einem Gehirne, welches einen epileptiformen Anfall überstanden hat, Durchschnitte, so findet man regelmässig Extravasate von Hirsekorn- bis Erbsen- grösse, die am häufigsten ihren Sitz an der Grenzschicht der Rinde haben, sich aber gelegentlich auch bis an das Ependym der Ventrikel verfolgen lassen. Es ist ziemlich sicher, dass ein Theil dieser Extra- vasate durch den Anfall selbst entsteht, indessen beobachtet man ober- flächlichere Blutergüsse auch wenn kein Anfall vorhergegangen ist. Ausserdem bemerke ich noch beiläufig, dass man regelmässig an Ge- hirnen, die einen epileptiformen Anfall durchgemacht haben, bei der Section eine sehr deutliche Injection der kleinsten Gefässe der Pia an der medialen Fläche des vorderen Drittels beider Hemisphären vorfindet. Dies scheint mir zu beweisen, dass bei diesen durch Fara- disirung hervorgebrachten Anfällen sich, wie allerdings zu vermuthen war, die Gefässerregung auf das ganze Gehirn ausbreitet. Zwischen- stufen scheinen mir jene localen Anfälle zu sein, von denen wir schon a. a. 0. gehandelt haben. Wie dem nun auch sein möge, das ist wohl unbestreitbar, dass eine Reizmethode, welche in allen Fällen so grobe Zerstörungen der Substanz setzt und ausserdem noch anderer, weniger leicht überseh- barer, wichtiger Veränderungen verdächtig ist, dass eine solche Reiz- methode als einziges Untersuchungsmittel verworfen werden muss, sobald noch irgend eine andere Methode existirt. Höchst störend sind ferner die Nachbewegungen, welche selbst bei Anwendung ganz schwacher Ströme aufzutreten pflegen. Dieselben 72 Kritische und experimentelle Untersuchungen sehen manchmal genau so aus wie die ursprünglich durch den Reiz hervorgebrachten Zuckungen, und sie können um so eher zu Täu- schungen führen, als bei Anwendung schwacher Inductionsstrome manchmal mehrere Secunden vergehen, bevor der Reizeffect sichtbar wird. Wem wird es überhaupt einfallen eine Reizmethode, die auch zu Reizeffecten führt, wenn nicht gereizt wird, ausschliesslich anzu- wenden ? — Endlich bedarf die Art der von Ferrier angewendeten Nar- kose noch einer Erwähnung. Abgesehen von Rücksichten der Mensch- lichkeit will Ferrier dieselbe benutzt haben, um Reflex- und willkürliche Bewegungen auszuschliessen. Es geht aber aus seinen eigenen Versuchsprotokollen hervor, dass er diesen Zweck jedenfalls höchst unvollkommen erreicht hat. Seine Versuch sthiere machen nicht nur dennoch Reflexbewegungen, sondern sie schreien und beissen auch, sie nagen ihre eigenen Pfoten, sie wedeln mit dem Schwanz, sie sper- ren die Schnauze auf und zu und stecken die Zunge abwechselnd her- aus und ziehen sie wieder ein. Dass in einer solchen Narkose die von Ferrier gesuchte Garantie nicht liegt, bedarf wohl keines Beweises. Blicken wir nun auf das bisher Angeführte zurück, so dürfen wir wohl sagen, dass selten jemals Untersuchungen über eines der wichtigsten Capitel der Nervenphysiologie auf Grund eines so über- aus winzigen Materiales, mit Hülfe so geringer physikalischer Vor- bereitung, unter so gänzlicher Vernachlässigung aller unbedingt zu verlangender Vorsicht angestellt worden sind. B. Die Resultate Ferrier's. I. Allgemeine Differenzen zwischen den Reizeffecten Ferrier's und den Meinigen. Zwischen den Resultaten Ferrier's und den meinigen existiren zwei principielle Differenzen: Erstens ist nach Ferrier fast das ganze Grosshirn erregbar, insbesondere die Gyri a, b, c, d (Stirntheil) und der grössere Theil der von mir als Hinterhaupts- und Schläfenlappen zur Physiologie des Grosshirns. 73 angesprochenen Zonen, während schon durch Fritsch und mich die Oberflächen der letztgenannten Theile als unerregbar bezeichnet waren, und ich in der vorgedruckten Abhandlung den eigentlichen Stirn- theil incl. des grösseren Theils des Gyrus d als unerregbar bezeichne. Man sieht sofort ein, dass wenn die Ferrier'sehen Angaben richtig wären, man sich ein ganz anderes Bild von dem anatomischen und physiologischen Verhalten des Centralorgans würde machen müssen, als wenn es bei den Unsrigen sein Bewenden hätte. Wir hatten als eins unserer wesentlichsten Resultate durch den Druck und die Stellung des Satzes noch besonders hervorgehoben die Thatsache, dass ein beträchtlicher Theil der die grossen Hemis- phären zusammensetzenden Nervenmassen in unmittelbarer Beziehung zur Muskelbewegung steht, während ein anderer Theil offenbar wenig- stens direct nichts damit zu schaffen hat. Wenn dem so war und ist, so müsste man sich folgerecht vorstellen, dass ähnlich diesen motorischen Projectionsfeldern auch gesonderte sensible und sensuelle bestünden. Wären aber die Ferrier'schen Untersuchungen richtig, so würde diese Annahme fast zur Unmöglichkeit; denn für die Katze wenigstens ist es ihm gelungen Erregbarkeit fast des ganzen Gross- hirns nachzuweisen. Beim Hunde freilich fand er einige Stellen von etwas grösserem Umfange unerregbar. Nach diesen Ergebnissen würde man also zu der Annahme gedrängt, dass die nach Innen und nach Aussen gerichteten seelischen Vorgänge, sowie die dazwischen liegen- den Verbindungsglieder ihr materielles Substrat nicht in gesonderten Hirnabschnitten, sondern durch einander gemischt besässen. An und für sich wäre ein solches Verhalten ja nicht unmöglich. Es würde sich in der That mehr der Flourens'sehen neuerdings wieder von Brown-Sequard vertretenen Anschauung nähern. Aber ob es so ist oder nicht ist, das festzustellen ist eine der wichtigsten Auf- gaben, die sowohl in den praktischen als ideellen Wissenschaften, deren Übject das Gehirn oder die Seele ist, je aufgeworfen wurden. Ferrier will durch seine Versuche diese Aufgabe nicht etwa im Sinne jener beiden Forscher, sondern in unserem Sinne lösen. Die zweite prinzipielle Differenz besteht darin, dass Ferrier für die gleichen Muskelgruppen mehrere, gelegentlich weit auseinanderliegende Centren angiebt, andererseits aber von ein- und 74 Kritische und experimentelle Untersuchungen derselben Stelle aus verschiedene Muskelgruppen in Bewegung setzt, während wir nur diejenigen Stellen als Centren betrachteten, von denen aus man bei einer ganz geringen Stromintensität locaHsirte Muskelinnervation vermitteln kann. Solcher Centren fanden wir aber für jede Muskelgruppe nur eins. Beide Differenzen erklären sich in einfacher Weise aus der ver- schiedenen Stärke der von uns angewendeten Ströme. Jeder, auch der ungeübteste Experimentator wird dies bei einer Wiederholung der Versuche ohne Weiteres herausfinden. Uebrigens stehen die Fer- rier'sehen Reizeffecte nicht nur mit den unsrigen, sondern auch unter einander in dem erdenklichsten Widerspruche. Einen Theil dieser Widersprüche haben wir oben S. 66 bereits angeführt, einige andere lasse ich folgen. An der Stelle, wo beim Hunde das Schwanzcentrum (9) (Fig. 4) liegt, ist das Hirn der Katze (3) (Fig. 6 u. 7) unerregbar, wo die Katze (4) die Brauen runzelt und das Ohr bewegt ist das Hirn des Hundes (10) unerregbar. Reizung des Schläfenlappens giebt bei der Katze Schliessung und Oeffnung der Kiefer und Hervorstrecken der Zunge, beim Hunde nichts. Hingegen lässt Reizung der Stelle, welche dem Hunde (19) die Kiefer schliesst, die Katze (6) mit der Pfote schlagen und die Klauen hervorstrecken. Bewegungen der Augäpfel werden bei der Katze von den bei mir mit /', n und g bezeichneten Gyris ausgelöst. Drehung des Kopfes nach der ent- gegengesetzten Seite erfolgt auf Reizung fast des ganzen Hinter- hirns u. s. w. u. s. w. — Das Hirn der Katze unterscheidet sich von dem des Hundes nur wenig. Der wesentlichste Unterschied besteht darin, dass das Katzenhirn sehr viel kleiner ist. Unter diesen Umständen wäre die erhebliche Differenz, welche Ferrier's Versuche zwischen den correspondirenden Regionen beider Thiere, wenn auch nicht für ihn, so doch für mich ergeben, schon an und für sich geeignet, die ernstesten Bedenken gegen die richtige Locali- sation seiner Reizeffecte wachzurufen. Ich habe zum Ueberfluss jede einzelne seiner Angaben in soweit sie das Grosshirn des Hundes, der Katze und des Meerschweinchens betreffen, in der eingehendsten Weise experimentell geprüft und ich werde in Folgendem die zur Physiologie des Grosshirns. 75 Ergebnisse dieser vergleichenden Untersuchungen, soweit es erforderlich ist, im Detail vortragen. Ausser diesen Untersuchungen über das Grosshirn publicirt Fer- rier in demselben Aufsatze noch nach den gleichen Grundsätzen an- gestellte Untersuchungen über den Streifenhügel, den Sehhügel, die Corpora quadrigemina und das Kleinhirn. Bei allen diesen Unter- suchungen ist die Literatur so gut wie gar nicht berücksichtigt, namentlich werden die Einwände, welche früher gegen derartige, wenig vorsichtige Methoden erhoben worden sind, nirgends in Be- tracht gezogen. Ich habe immer geglaubt, dass so umfangreiche Untersuchungen eine über Jahre ausgedehnte Thätigkeit erforderten, und ich bin deswegen für jetzt ausser Stande experimentelle That- sachen neueren Datums über die Function auch dieser Hirnprovinzen beizubringen. Indessen verweise ich, was das Kleinhirn betrifft auf zwei unten folgende, von mir bereits im Anfang des Jahres 1872 in Reichert's und du Bois-Reymond's Archiv zuerst publicirte Abhandlungen. Ausserdem erinnere ich unter Hinweis auf S. 9, dass ich meine eigenen Untersuchungen mit dem generellen Nach- weise der Erregbarkeit des Kaninchenhirns begonnen habe. Wegen der Kleinheit der Theile ist hier eine Isolirung der Reize noch schwerer zu beweisen als beim Katzengehirn. Es scheint mir deshalb zwecklos vor der Hand auf Versuche, welche Ferrier auch an diesem Thiere angestellt hat, überhaupt einzugehen. II. Specielle Differenzen zwischen den Reizeffecten Ferrier's und den Meinigen. 1. Versuche an Hunden. Die Mehrzahl meiner, hier in Frage stehenden Versuche wurden an Hunden angestellt, da die Katze, wie wir später sehen werden, sich für dieselben weniger eignet. Ich opferte im Ganzen diesem Zwecke 17 Thiere, von denen eines in Folge von Anämie, zwei an- dere in Folge der angewendeten Narkotica unbrauchbar wurden, oder zu Grunde gingen. Es bleiben also 14 brauchbare Vivisectionen. 76 Kritische und experimentelle Untersuchungen Die Operation wurde bei dieser Reihe von Versuchen fast immer ohne Narkose angefangen und, wenn es möglich war, auch beendet. Waren die Thiere hingegen nach Freilegung des Hirns entweder zu unruhig oder bekamen sie, was in diesem Stadium sehr häufig der Fall ist, allgemeines Zittern, so wurde ihnen eine subcutane Morphium- Injection von 0,02 bis 0,04 Gramm Morphium muriaticum gemacht, in Folge deren die angeführten Erscheinungen sich soweit verloren, dass die Untersuchung fortgeführt werden konnte. Vor der Injection wurde jedoch das Zuckungsminimum für den Orbicularis palpebrarum, womöglich auch für die Vorderextremität festgestellt und nach der Injection von Zeit zu Zeit controlirt, ob die Erregbarkeit erheblich gesunken war oder nicht. Ich überzeugte mich von Neuem, dass das Morphium unter den gegebenen Verhältnissen einen Einfluss auf die Erregbarkeit nicht hat. Zur Blutstillung pflege ich kleine Streifen Feuerschwamm zu be- nutzen, welche theils in die blutenden Emissarien eingeführt, theils auf die durchschnittenen Knochenflächen aufgedrückt werden. Den Thieren wurde regelmässig die Tracheotomie gemacht, um dem Schreien vorzubeugeu. Der Inductionsapparat wurde durch ein sehr schwaches Element nach Leclanche getrieben. Im Uebrigen verweise ich wegen der Methode auf die Angaben der beiden vorstehenden Abhandlungen. a) Unerregbare Zone. In der von mir als unerregbar bezeichneten Zone fand Ferrier zunächst eine Reihe von Hirnpartieen erregbar, welche nach hinten an die von mir als erregbar bezeichneten Theile grenzen. Der erste Punkt1) (9) liegt im Gyrus m. Ferrier hat von ihm aus bei dem einen seiner Versuche am Hunde Schwanzbewegungen hervorgebracht, bei dem zweiten Versuche wurde dieser Punkt nicht berücksichtigt. Dieses eine Resultat genügt Ferrier, um die betreffende Partie nicht nur als Centrum für die Schwanzbewegungeu zu bezeichnen, sondern auch mit Rücksicht auf die Ausdehnung dieser Stelle weit- tragende Schlüsse zu ziehen, von denen später die Rede sein wird. Ich selbst fand die fragliche Stelle bei der Stromstärke des Zuckungs- 1) Die säramtlichen Punkte sind auf Fig. 4 S. 79 reproducirt. zur Physiologie des Grosshirns. 77 minimums und beträchtlich höheren Stromstärken stets unerregbar. Bei einzelnen Versuchen konnte man sogar mit 10 Elementen ohne Nebenschliessung und mit beliebig starken Inductionsströmen reizen, ohne dass Zuckungen eintraten. Bei anderen Versuchen hingegen be- wegte sich unter diesen Umständen allerdings der Schwanz. Dann nahm die Stärke der Contractionen aber stets zu, sobald die Elek- troden nach vorne in die erregbare Zone rückten. Jedoch reagirte auch diese Stelle auf die Stromstärke des Zuckungsminimums und die nächst höheren Stromstärken nicht mit Schwanzbewegungen, wäh- rend man unter den letztangeführten Bedingungen deutliche Zuckungen von dem Centrum für die hintere Extremität aus auch in der Schwanz- muskulatur hervorrief. Wir hatten bereits in der ersten Abhandlung- angegeben, dass wir nicht nur diese Muskeln, sondern auch die des Rumpfes von der erregbaren Zone aus hätten in Bewegung setzen können, dass uns jedoch ihre Isolirung nicht gelungen sei. Gelegentlich der in der zweiten Abhandlung angeführten Versuche hatte ich auf Isolirung der Schwanzmuskeln wiederum viele Mühe verwendet. In der That war es mir denn auch bei einigen Versuchen gelungen den Schwanz von der oben bezeichneten Stelle, dicht lateralwärts neben dem Cen- trum für die hintere Extremität aus isolirt in Bewegung zu setzen. Da jedoch dieses Resultat nicht constant hervorzubringen war, so glaubte ich auf die Wiedergabe desselben verzichten zu sollen.') Die neuerdings angestellten Versuche haben in dem damals erreichten Zahlenverhältniss so wenig geändert, dass ich auch jetzt noch Anstand nehme die betreffenden Theile als der Rinde angehörig zu betrachten. Des Centrums für das Hinterbein war bei Ferrier, merkwürdiger Weise nur in einer Anmerkung gedacht, auch ist die Stelle nicht mit einer Zahl, wie die Uebrigen bezeichnet. Ferrier schliesst sich mit seiner Angabe der Unsrigen an, macht aber von dort aus her- vorzurufender Schwanzbewegungen keine Erwähnung. Nach Diesem muss ich schliessen, dass die Reizeffecte, welche Ferrier bei Faradisirung des Punktes (9) sah, auf zu anderen Thei- len gelangende Stromschleifen zurückzuführen sind. 1) Doch hahe ich auf der Kupfertafel Fig. 1. a. a. 0. 1873 diese Stelle durch eine punktirte Linie angedeutet, und,1 dieses Zeichen auch auf den Figg. 2 und 5 reproducirt. 78 Kritische und experimentelle Untersuchungen Der Punkt (11) Ferrier's liegt unmittelbar hinter dem Cen- trum für den Orbicularis palpebrarum. Bei dem ersten von Fer- rier's Versuchen bewirkte dessen Reizung Schluss des Auges, bei dem zweiten Drehung des Kopfes nach der anderen Seite. Reizte er bei dem zweiten Versuche zwischen (11) und (5) (Centrum für Or- bicularis palpebrarum), so hob sich die Augenbraue; also drei ver- schiedene Reizeffecte! Bei meinen eigenen Versuchen fand ich diese Gegend auf die Stromstärke des Zuckungsminimums und die nächst höheren Stromstärken niemals mit einem Reizeffecte antwortend. Bei beträchtlich stärkeren Strömen traten Zuckungen im Orbicularis pal- pebrarum ein, die an Intensität zunahmen, sobald ich mich mit den Elektroden dem von uns als Centrum für diesen Muskel bezeichneten Punkt (5) näherte. Ich kann deshalb nur den Schluss ziehen, dass auch hier die Reizeffecte Ferrier's durch Stromschleifen, welche zu dem bezeich- neten Punkte (5) gelangten, bedingt sind. Der dritte Punkt, welcher die erregbare Zone nach hinten be- grenzt (16), liegt in dem Gyrus o. Bei dem ersten seiner zwei Versuche fand Ferrier denselben nicht erregbar, bei dem zweiten Versuche wurde das Ohr nach unten und hinten gezogen. Ich fand bei meinen Versuchen die fragliche Stelle unerregbar. Der vierte Punkt (20) liegt an der Stelle, wo Gyrus h und i zusammen laufen. Durch Reizung desselben rief Ferrier keine Bewegungen hervor; auch mir gelang dies nicht; auf die Schlüsse, die Ferrier zieht, kommen wir zurück. Wir betrachten die Punkte (11), (12), (16), und (17) Fer- rier's, wie den dazwischen gelegenen Raum mit Ferrier gemein- schaftlich. Der in Frage stehende Raum umfasst den ganzen Hinter- hauptlappen bis zur Grenze des Schläfenlappens, abgesehen von der äusseren Fläche des Randwulstes. Bei dem ersten von Ferrier's Versuchen ergab Reizung dieser Region keine Bewegungen, nur, wie schon angeführt, traten auf Reizung von (11) Contractionen im Orbi- cularis palpebrarum ein und bei Reizung von (12) (Rollenabstand 4 Cm.!) eine Bewegung des Kopfes nach der anderen Seite, durch welche ein epileptiformer Anfall eingeleitet wurde. Bei dem zweiten Versuche trat auf Reizung von (11), (12) und des zwischen (11) und zur Physiologie des Grosshirns. 79 (17) Hegenden Raumes Drehung des Kopfes nach der anderen Seite ein; (16) ergab, wie schon angeführt, eine Ohrbewegung und (17) wurde nicht gereizt. Ferrier zieht hieraus den Schluss, dass diese ganze Gegend die von ihm, ich weiss nicht aus welchem Grunde zusammengeworfenen, seitlichen Bewegungen des Kopfes und Ohres vermittle. Fig. 4. Fig. 5. Die Buchstaben wie auf Fig. 4 . A Reizpunkt für Rumpfmuskeln; 1' und -\- für vordere Extremität; # für Hinterextremität; : für Schwanz; I für beide Extremitäten; C.) für Bewegung und Schutz des Auges; 0 für Zunge; •■ für Kiefer- öffnung; unmittelbar dahinter zwei durch eine Linie verbundene Punkte für Schluss der Kiefer, Betraction der Mundwinkel und Retraction der Zunge; *** X für Ohrbewegungen. Die Reizung von (17) hat ihm in keinem Falle von seinen zweien ein Resultat ergeben. Ich begreife darnach nicht, mit welchem Recht er auch diese Stelle hier glaubt namhaft machen zu dürfen. Ebenso ergab (11) bei dem einen Versuche Schluss des Auges und nur beim zweiten Drehung des Kopfes. Nur (12) hätte in beiden Fällen wirk- lich Drehung des Kopfes ergeben, und (16) in dem einen Falle die Ohrbewegung; dazu war die Drehung des Kopfes bei (12) in dem einen Falle noch die Einleitung zu einem epileptiformen Anfalle. Bei meinen eigenen Versuchen fand ich, dass man in der grossen Mehrzahl der Fälle fast die ganze, nicht unmittelbar an die erreg- bare Zone grenzende Partie mit Strömen jeder Intensität reizen kann, ohne dass weder Bewegungen des Kopfes noch des Ohres eintreten. L. f.: Stirnregion. L. o.: Hinterhaupts- region. F. S.: Fossa Sylvii. S. c. und 14: Sulcus cruciatus (Leuret), front. (Owen), e-h Scheitelwindungen, m-o Hinterhauptswindungen, i vordere Schläfenwindung, a-d Stirnwindungen (die Buchstaben a-c stehen vor den durch sie bezeichneten Theilen). 80 Kritische und experimentelle Untersuchungen In spärlichen Fällen beobachtete ich jedoch allerdings Drehung des Kopfes nach der anderen Seite, sowie Rückwärtsbewegung des Ohres bei Anwendung sehr starker Ströme. Auch bei mir bildete die er- stere Bewegung einmal die Einleitung zu einem epileptiformen An- falle, während ich, wie später gezeigt werden wird, Ohrbewe- gungen mit schwächeren Strömen, aber nur in einer kleinen Zahl von Fällen, von einer mehr nach vorn gelegenen Stelle aus hervor- bringen konnte. Die Stromstärke des Zuckungsminimums, sowie be- trächtlich stärkere Ströme ergaben aber von den jetzt in Rede stehenden Punkten aus in keinem Falle eine Zuckung. Es handelt sich also bei jenen ausnahmsweise eintretenden Reizeffecten zweifels- ohne um nach der Basis zu vordringende Stromschleifen. Die frag- lichen Partieen selbst sind auf Grund der anderen Versuche mit Be- stimmtheit als unerregbar anzusprechen. Ich bemerke zur Stütze dessen ausdrücklich, dass bei meinen Untersuchungen das etwaige Vorhandensein eines Erschöpfungsstadiums nicht in Frage kommen konnte; denn bei jedem einzelnen Versuche wurde von Zeit zu Zeit der Erregbarkeitszustand der genau bekannten Centren controlirt und dann mit dem Erregbarkeitszustande zweifelhafter Theile ver- glichen. Sobald ein nennenswerthes Absinken der Erregbarkeit zu constatiren war, wurde der Versuch entweder ohne Weiteres auf- gegeben, oder die erhaltenen Resultate nur unter Reserve notirt. Soviel von den nach hinten gelegenen Partieen. Nach vorwärts von den durch mich bezeichneten Grenzen fand Ferrier den ganzen Rest des Hirns erregbar. Die mediale Partie des Gyrus d, sowie dessen Vereinigungsstelle mit dem Gyrus a, resp. der senkrecht abfal- lende Theil des Gyrus d, (4) und (15) ergaben, in dem einen Versuche Erhebung des oberen Lides, bei dem anderen Versuche wurden diese Punkte nicht gereizt. Ich mache darauf aufmerksam, dass bei jenem Versuche ein Punkt in dem hinteren Theile der unerregbaren Zone mit Erhebung des oberen Lides geantwortet hatte, welcher bei dem ersten Versuche seinerseits nicht reagirte. Dieses schiebt Ferrier darauf, dass er den rechten Punkt nicht getroffen habe. Es gäbe also zwei weit auseinanderliegende Centralstellen für diese Function. Bei meinen eigenen Versuchen konnte ich in der Regel die frag- lichen Stellen sowohl mit Inductions-, als auch galvanischen Strömen zur Physiologie des Grosshirns. 81 jeder Intensität reizen, ohne dass die entsprechende oder eine andere Reaction eintrat. In einigen Versuchen erfolgte allerdings eine, je- doch doppelseitige Erhebung des oberen Lides, die zweifelsohne auf eine Innervation des Levator palpebrae superioris und nicht etwa des Frontalis zu beziehen war. Indessen auch hierzu war ein un- verhältnissmässig starker Strom erforderlich: Das Zuckungsminimum trat nämlich im Orbicularis palpebrarum bei 15 S. EE. Widerstand der Nebenschliessung ein, während die fragliche Stelle erst auf 100 Wendung deutlich reagirte, 80 Wendung ergab noch nicht die Spur einer Zuckung. Die Stromstärke für das Zuckungsminimum auf Reizung mit dem Inductionsstrome war an dieser Stelle 80 Rollen- abstand. Rückte man nun mit den Elektroden mehr und mehr lateralwärts, so nahm bei gleicher Stromstärke die Intensität der Muskelcontraction mehr und mehr zu, auch wurde eine Anfangs un- deutliche Pupillendilatation deutlicher. Die Reaction war am Stärk- sten und das Zuckungsminimum lag am Niedrigsten in der Gegend von A Figg. 1. 2. 5. Auch dort waren aber immer 70 S. EE. Wendung erforderlich um überhaupt eine minimale Bewegung zu erzielen. Es kann sich also auch bei diesem Reizeffecte nur um Vordringen von Stromschleifen nach der Basis zu handeln, und grade dieser wie die zuletzt angeführten Versuche wrürden auf's Deutlichste beweisen, wenn es eines besonderen Beweises bedürfte, nicht nur wie ausser- ordentlich vorsichtig man mit seinen Schlüssen bei dieser Materie sein muss, sondern auch wie dieselben niemals allein auf solche Ver- suche basirt werden dürfen, bei denen erheblich grössere Strominten- sitäten als die des Zuckungsminimums zur Anwendung kommen. — Die Untersuchung des Vorderlappens unterliegt wegen der Klein- heit der Theile besonderen Schwierigkeiten. Man muss zu diesem Behufe den Bulbus exstirpiren und selbst dann noch hängt die Auf- deckung dieses Theiles in der möglichen Ausdehnung, ohne Neben- verletzungen hervorzubringen, und ohne dass das Thier durch Blut- verlust und Schmerz zu sehr erschöpft wird, bei aller Sorgfalt und Uebung von Zufälligkeiten ab. Ausserdem sammelt sich in dieser Gegend mit Vorliebe Cerebrospinalflüssigkeit und Wundsecret aus der Orbitalgegend her an, so dass die Untersuchung dieses Hirntheiles mit Hitzig, Experimentelle Untersuchungen. Q 82 Kritische und experimentelle Untersuchungen doppelter Vorsicht, und die Schlussfolgerungen, soweit positive Reiz- effecte erscheinen, mit doppelter Reserve in die Hand genommen werden müssen. Ferrier fand bei dem einen seiner beiden Versuche, (23) bei dem die Spiralen bis auf 4 Cm. genähert waren, ein plötzliches Zurück- ziehen des Kopfes gegen die Brust; bei dem zweiten Versuche wurde auch dieser Punkt nicht gereizt. Bei meinen eigenen Versuchen sah ich ausserordentlich häufig auf Anwendung stärkerer Ströme Bewegungen aller Art eintreten, und zwar Hessen sich unterscheiden einfache Reflexbewegungen und solche, die durch Stromschleifen zu anderen Theilen bedingt waren. Reflexbewegungen kommen hier sehr leicht wegen der Nähe der Dura zu Stande und sie trugen hier wie überall den Charakter zweck- mässiger Fluchtbewegungen. Andererseits traten manchmal doppel- seitige Contractionen der zwischen Sternum und Zungenbein, Kiefer und Zunge verlaufenden Muskeln ein, welche an Intensität zunahmen, sobald man etwas mehr nach Hinten ging, als man in eine Gegend kam, welche wie wir sehen werden, mit diesen Bewegungen directer etwas zu thun hat. Ausserdem habe ich durch starke Ströme von derselben Gegend aus schüttelnde Bewegungen mit dem Kopfe, Ver- ziehung der Nase nach der rechten Seite und andere Bewegungen her- vorgebracht. Auf die Stromstärke des Zuckungsminimums und die nächst höher liegenden Stromstärken reagirte der Stirnlappen nie. Hingegen gelang es sogar in einzelnen Fällen, bei denen die Präpa- ration diesen Theil in grösserer Ausdehnung gänzlich von flüssigen and festen Umgebungen isoliren konnte, ausserordentlich starke Ströme anzuwenden, ohne dass Zuckungen eintraten. Zu gleicher Zeit reagirten die übrigen Centren in der gewohnten Weise. Wenn man aber bei Strö- men mittlerer Intensität die Electroden in die sich am Schädelgrunde ansammelnde Flüssigkeit tauchte, so traten unfehlbar Zuckungen ein. Die Punkte (21) und (22) Ferrier's liegen nach der Beschrei- bung, und soweit diese verständlich ist,1) auch nach der Zeichnung 1) Die fraglichen Abbildungen des Hundehirns sehen diesem Organe an dessen Vorderseite wenig ähnlich. Ferrier hat offenbar die Pia nicht ab- gezogen, und vermuthet deshalb auch eine nicht bestehende Continuifät zwischen Stirn- und Scheitelwiudungen. zur Physiologie des Grosshirns. 83 im Gyrus c und an der Grenze des Gyrus a gegen den Letzteren. Ferrier sagt Folgendes über die hier erzielten Reizeffecte: „Punkt (21): Zurückziehen des Kopfes und Oeffnen des Mundes. Das Thier macht einen schwachen Versuch zu einem Schrei oder Knurren. Das Thier war zu diesem Zeitpunkte ausserordentlich er- schöpft. Wiederholte Application der Elektroden an diesem Punkte und seiner Nachbarschaft verursachten winselnde und knurrende Ge- räusche, wie sie ein träumender Hund macht. Diese Laute wurden bei Application der Elektroden auf andere Theile des Gehirns zu dieser Zeit nicht ausgestossen." (Ich bin überzeugt, wenn Ferrier die Elektroden zu gleicher Zeit hätte auf andere Theile der Dura appliciren wollen, so würde er gleiche Laute zu hören bekommen haben.) „Punkt (22) Spiralen auf 4 Cm. (!) da die Erregbarkeit des Gehirns herabgesetzt ist; das Thier öffnet den Mund, zieht die Oberlippen zurück und macht eine Art von schnüffeln- dem oder brummendem Geräusch." Bei dem zweiten Versuche wurden auch diese Punkte nicht untersucht, und dennoch genügen jene einmal an einem „ausserordentlich erschöpften Thiere" bei einer Annäherung der Spiralen auf 4 Cm. er- reichten Reizeffecte, Ferrier zu seinen Schlussfolgerungen. Er fasst diese Punkte mit den in zwei anderen Gyris liegenden Punkten (13), (14), (18), (19) und (probably 20) ]) zusammen, um ihrer Gesammt- heit alle einseitigen und doppelseitigen Bewegungen des Mundes, der Zunge, des Kiefers und einige Nackenbewegungen zuzutheilen. Ich werde auf die fraglichen Bewegungen an einer anderen Stelle einzugehen haben, und darf mich hier wohl mit der Bemerkung be- gnügen, dass massig starke Ströme auch von den Punkten (21) und (22) Ferrier's aus nicht mit Zuckungen beantwortet werden. Dennoch mache ich noch ausdrücklich darauf aufmerksam, dass man an diesen Stellen sehr leicht mit dem ersten und zweiten Aste des Quintus inCollision geräth. Namentlich der Supraorbitalis liegt hier 1) „Probably" weil (20) das eine Mal nicht gereizt worden war und das andere Mal keinen Reizeffect gegeben hatte. Bei der Katze trat an der ent- sprechenden Stelle Drehung des Kopfes ein. Punkt (20) liegt aber an der Syl- vischen Grube, darum muss er wohl zu der Articulation in Beziehung stehen!" 6* 84 Kritische und experimentelle Untersuchungen dicht neben den Elektroden. Ich habe Gelegenheit genommen mich von seiner directen Betheiligung bei den Reizeffecten Ferrier's zu überzeugen. Andererseits hat Ferrier möglicherweise die Reizeffecte einer etwas mehr nach Hinten gelegenen Fläche irrthümlich an diese Stellen localisirt und sie an richtigen Stellen beobachtet. Wenn man nur einen Versuch macht, sind derartige Irrungen natürlich un- vermeidlich. Auf Grund dieser Untersuchung halte ich nach wie vor auch den Stirntheil des Hundehirns für unerregbar, und die Reizeffecte Ferrier's für Täuschungen durch Stromschleifen. — Resumiren wir diesen Theil der Untersuchung, so finden wir, dass der vordere Theil. der früher von mir als unerregbar bezeichneten Zone, welcher also die Grenze der erregbaren Zone nach Hinten bildet, auf schwache Ströme nie mit Muskelcontractionen antwortet; dass er auf stärkere Ströme manchmal aber nicht immer reagirt, dass diese Reaction stärker wird, wenn man bei gleicher Reizgrösse auf von uns bezeichnete Centren zurückt; dass Application der Elektroden auf den noch weiter nach Hinten liegenden Theil entweder überhaupt keine Bewegungen, oder nur dann solche auslöst, wenn Ströme von enormer Intensität zur Anwendung kommen. Dasselbe finden wir rücksichtlich der vorderen, von mir früher als unerregbar bezeichneten Zone. Es gelang mir bei einer Anzahl dieser ausnahmsweise auf- tretenden Reizeffecte den Hergang der Täuschung zu verfolgen. Bei diesen lagen die Einströmungsstellen meist an den Rändern der freigelegten Hirnfläche. Der Mechanismus einer anderen Zahl aus- nahmsweise!' Reizeffecte Hess sich nicht verfolgen. Hier lagen die Einströmungsstellen mehr nach der Mitte der freigelegten Hirnflächen hin. Von beiden Species werden wir im Folgenden fernere Beispiele kennen lernen, und alsdann Gelegenheit nehmen einige Worte über dieselben zu sagen. Eine Förderung ist der Sache durch die bisher geprüften Ver- suche Ferrier's nicht geworden, insofern die von ihm publicirten Reizeffecte Producte unzulässiger Methoden sind und ausserdem in- constant auftreten. zur Physiologie des Grosshirns. 85 b) Erregbare Zone.') Die Versuche Ferrier's über Reizung der von Fritsch und mir bezeichneten Stellen gaben im Allgemeinen dieselben Resultate, welche wir publicirt hatten. Nur sind die Seinigen mehr complicirter Natur als die Unsrigen. Er bekommt z. B. gleichzeitig Schliessung des Auges, doppelseitige Augenbewegungen, Pupillendilatation und Drehung des Kopfes nach der anderen Seite von unserem Facialis- Centrum, Punkt (5) aus. Andererseits bekommt er dieselben Bewe- gungen von einer ganz anderen Stelle, nämlich von unserem Nacken- muskelcentrum, Punkt (3) aus. Dies ist bei der enormen von ihm angewendeten Stromintensität leicht verständlich. Wir wollen darauf nicht noch einmal eingehen. Reizung seines Punktes (1) ergab ihm dieselben Resultate wie uns. Die Stelle für das Hinterbein hatte er bei den hier in Frage kommenden Untersuchungen, wie es scheint, zu elektrisiren vergessen. Ausserdem liegen in der erregbaren Zone noch seine Punkte (6), (7), (19), (18), (14), (13) und ein Theil der Region (8). Die Punkte (6), (7) und (8) ergaben ihm denselben Reizeffect wie (5) nämlich Schluss des Auges, was sich durch ihre Nachbar- schaft erklärt. Nur bleibt eben bei schwächeren Strömen die frag- liche Reaction aus. Bei Reizung der Punkte (13), (14), (18) und (19) trat Ver- ziehung eines oder beider Mundwinkel ein, bei (14) gleichzeitig eine Ohrbewegung, bei (18) gleichzeitig eine Nackenbewegung und bei (19) gleichzeitig Kieferschluss. In allen Fällen waren die Spiralen sich einander bis auf 6 Cm. genähert. In der mit Herrn Fritsch gemeinschaftlich publicirten Ab- handlung war über Reizung dieser Theile nichts gesagt worden, da wir sie nicht untersucht hatten. In der vorstehenden Abhandlung sind nur Reizeffecte des Punktes (19) erwähnt. Die übrigen hier 1) Sämmtliche in diesem Abschnitte angeführten Zeichen beziehen sich auf Fig. 5, die Zahlen auf Fig. 4 S. 86. Diejenigen Theile, welche Fer- rier als erregbar anspricht sind auf Fig. 4, und diejenigen, welche ich für erregbar halte, auf Fig. 5 durch die Schraffirung bezeichnet. Man vergleiche zur Orientirung die Schraffirung der Figg. 2 u. 3. 86 Kritische und experimentelle Untersuchungen in Frage kommenden Punkte hatte ich bei dieser Gelegenheit frei- lich untersucht, indessen aus später zu erwähnenden Gründen von der Erwähnung des damals Gesehenen Abstand genommen. Bei der jetzigen Serie von Experimenten wurde dieser Region um deshalb die grösste Aufmerksamkeit zugewendet, weil die von dort aus zu producirenden Reizeffecte, nachdem sie einmal zur Sprache gebracht sind, neue Elemente in die Discussion einführen werden, übrigens auch wegen gewisser Beziehungen zur Pathologie ein besonderes In- teresse beanspruchen. Fig. 4. Fig. 5. L. f : Stirnregion. L. o.: Hinterhaupts- region. F S.: Fossa Sylvii. S. c und 14: Sulcus cruciatus (Leuret), front. (Owen), e-h Scheitelwindungen, m-o Hinterhauptswindungen, i Tordere Schläfenwindung, a-d Stirnwindungen (die Buchstaben a-c stehen vor den durch sie bezeichneten Theilen). Die Buchstaben wie auf Fig. 4 . A Reizpunkt für Rumpfmuskeln; ~V und -f für vordere Extremität; 4£ für Hinterextremität; : für Schwanz; I für beide Extremitäten; C) für Bewegung und Schutz des Auges; 0 für Zunge; "■ für Kiefer- öffnung; unmittelbar dahinter zwei durch eine Linie verbundene Punkte für Schluss der Kiefer, Retraction der Mundwinkel und Retraction der Zunge; *** X für Ohrbewegungen. Dieser ganzen Region kommt eine Eigenschaft zu, welche die Untersuchung nicht nur, sondern auch die Beurtheilung der erhal- tenen Reizeffecte auf das Aeusserste erschwert, so dass ich trotz aller Mülie mir in mancher Beziehung ein definitives Urtheil auch jetzt noch nicht habe bilden können und mir dasselbe bis nach Vor- nahme neuer Untersuchungen nach modificirten Methoden vorbehalte. Man erhält nämlich v'on dem Gyrus g und von der nach Vorn gelegenen, den Gyris/, #und h gemeinschaftlichen zur Physiologie des Grosshirus. 87 Partie aus in einer Zahl von Fällen schon bei Strömen, welche den Werth des Zuckungsminimums nicht erheb- lich überschreiten, gut locaHsirte Zuckungen, während in anderen Fällen unter scheinbar ganz gleichen Um- ständen, und nachdem die vorbereitende Operation tadellos voll- bracht war, zur Erzielung derselben Reizeffecte ausser- ordentlich viel grössere Stromintensitäten erforderlich sind. Eine Ausnahme macht der mit © Fig. 5 bezeichnete Punkt, welcher auf den Werth des Zuckungsminimums regelmässig mit einer doppelseitigen Zungenbewegung, bei stärkeren Inductionsströmen mit Herausstecken der, Zunge antwortet. Diese Bewegungen werden auf die gleiche, höhere Stromintensität auch von der ganzen, den Gyris t\ g und h gemeinschaftlichen Partie aus hervorgerufen. Ausserdem treten bei Reizung der letztgenannten Stelle Kieferbewegungen und zwar sowohl Oeffnung als Schluss der Kiefer, endlich Bewegungen der Mundwinkel, mit einem Worte also Fressbewegungen ein. Etwas nach oben und nach der Mittellinie zu von dem ebenerwähnten Reiz- punkt für die eigentlichen Zungenmuskeln lassen sich die Sterno- hyoidei und thyreoidei erregen. Die Stelle für Oeffnung der Kiefer ist, auch wenn man zur An- wendung stärkerer Ströme schreiten muss, immer gut zu localisiren. Sie liegt unmittelbar über dem Punkt für die Zunge und die von dort aus mit dem Inductionsstrome erzielte Bewegung ist sehr charak- teristisch. Man kann den Hund die Kiefer so weit aufreissen lassen, wie er es willkürlich nie thut. Man sieht, dass diese Stelle nicht weit von Ferrier's Punkt (22) liegt, bei deren Reizung der Hund schrie, winselte und das Maul aufsperrte. Es ist also möglich, dass Ferrier's Reizeffecte zum Theil auf Stromschleifen beruhten, welche nach jenen leichter reizbaren Theilen gelangten und nur zum Theil auf gleichzeitige Reizung der Dura zurückzuführen sind. Die Stelle ist auf Fig. 5 mit zwei bei einanderliegenden Punkten bezeichnet. Weniger sicher zu localisiren ist die Schliessung der Kiefer. In der Mehrzahl der Fälle lässt sich dieselbe von der unmittelbaren Nachbarschaft der letztgenannten Stelle aus, etwas nach Hinten in der Richtung auf den Gyrus g zu hervorbringen. Bei einer anderen kleineren Reihe von Fällen braucht man aber hier stärkere Ströme 88 Kritische und experimentelle Untersuchungen als bei dem Punkte (19)1) Ferrier's (zwei durch eine Linie ver- bundene Punkte), so dass derselbe, was diese Fälle angeht, mit seiner Angabe Recht hätte. Ebenso ist es richtig, dass von dem vorderen Theil des Gyrus >!> tj^ ^ •> <_^> ^-v^S*» ""SÄT» *3>>i 'Siöi) 3> 5) .>,:>->> V» ; V*. 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